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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eine Zeitlang im Genre gearbeitet haben, können verstehen, wie zerbrechlich das Material
tatsächlich ist und wieviel Hingabe es dem reifen und intellektuellen Leser abverlangt. Als Coleridge in seinem Essay über
phantastische Dichtung von der »Aufhebung des Unglaubens« sprach, war ihm klar, daß dieser Unglauben kein Luftballon ist, der die Schwerkraft scheinbar mühelos aufheben
kann, sondern vielmehr ein Bleigewicht, das mit Anstrengung und einem Ruck hochgehoben und mühsam oben gehalten werden muß. Unglauben ist nicht leicht; er ist schwer. Die
unterschiedlichen Verkaufszahlen von Arthur Hailey und
H. P. Lovecraft mögen darauf zurückzuführen sein, daß alle
an Autos und Banken glauben, es aber einen gebildeten und
muskelanstrengenden Akt des Intellekts erfordert, an Nyarlathotep, den blinden Gesichtslosen, oder den Heuler in der
Nacht zu glauben, und sei es nur für eine kleine Weile. Jedesmal, wenn ich auf jemanden treffe, der mir etwas in der Richtung sagt von »Ich lese keine Fantasy und sehe mir keine solchen Filme an; das gibt es doch alles gar nicht«, dann verspüre ich eine Art Sympathie. Diese Leute können das Gewicht der Phantasie einfach nicht heben. Die Muskeln ihrer
Vorstellungskraft sind einfach zu schwach geworden.
    In diesem Sinne sind Kinder ein perfektes Publikum für
Horror. Das Paradoxon ist folgendes: Kinder, die körperlich
recht schwach sind, können das Gewicht des Unglaubens mühelos aufheben. Sie sind Jongleure der unsichtbaren Welt ein vollkommen verständliches Phänomen, wenn man bedenkt, aus welcher Perspektive sie die Dinge sehen. Kindern
fällt es leicht, die Logis tik der Ankunft des Weihnachtsmannes am Weihnachtsabend zurechtzubiegen (er kann kleine
Kamine herunterkommen, indem er sich klein macht, und
wenn es keinen Kamin gibt, dann bleibt immer noch der
Briefschlitz, und wenn es keinen Briefschlitz gibt, dann eben
der Spalt unter der Tür), des Osterhasen, Gottes (großer
Mann, ziemlich alt, weißer Bart,Thron), Jesus’, (»Was meinst
du, wie er Wasser in Wein verwandelt hat?« fragte ich meinen
Sohn Joe einmal, als er-Joe, nicht Jesus-fünf war; Joes Vorstellung war, daß er »eine Art magisches Kool-Aid* hatte,
weißt du, was ich meine?«), des Teufels (Snidely-WhiplashSchnurrbart), Ronald McDonalds, des Burger Kings, der
Keebler Elves, Dorothys und Totos, des Einsamen Rangers
undTontos undTausender anderer.
    Die meisten Eltern denken, sie verstünden diese Offenheit
besser, als sie sie tatsächlich verstehen, und versuchen, ihre
Kinder von allem fernzuhalten, was nach Horror oder
Schrecken riecht - »Freigabestufe PG** (oder G im Falle von The Andromeda Strain), aber könnte für kleinere Kinder zu
schlimm sein«, lautete die Werbung für Jaws -, weil sie meiner Meinung nach glauben, wenn sie ihre Kinder in einen echten Horror-Film gehen ließen, wäre das gleichbedeutend
damit, wenn sie eine Handgranate in einen Kindergarten werfen würden.
* Kool-Aid bezeichnet einen mit Drogen versetzten Fruchtsaft.
(Anm.d. Übers.)
    ** Da sich Stephen King immer wieder auf die amerikanischen Filmfreigaben bezieht, wird es nützlich sein, sie an dieser Stelle kurz zu erläutern. Die von der MPAA-der Motion Picture Association of America
- vergebenen Freigaben sind folgendermaßen gegliedert: G = »General audiences«, d. h. keine Altersbeschränkung; PG = »Parental
guidance suggested«, was bedeutet, Kinder sollten den Film nur in
Begleitung Erwachsener ansehen; PG-13 bedeutet dasselbe, allerdings dürfen in solche Filme nur Kinder ab dreizehn Jahren hinein; R
= »Restricted«, d. h. diese Filme dürfen in den USAerst ab siebzehn
Jahren besucht werden; während die Freigabe »X« für Filme mit ex-
pliziten Darstellungen von Sex vorbehalten ist, also für pornographische Filme.
(Anm.d.Übers.)
    Einer der seltsamen Doppler-Effekte, die während des selektiven Vergessens aufzutreten scheinen, das so sehr Bestandteil des »Erwachsenwerdens« ist, ist die Tatsache, daß
für ein Kind unter acht Jahren fast alles ein Angstpotential besitzt. Zur rechten Zeit und am rechten Ort haben Kinder
buchstäblich Angst vor ihrem eigenen Schatten. Es gibt die
Geschichte von dem Vierjährigen, der sich weigerte, nachts
ins Bett zu gehen, wenn nicht in seinem Schrank ein Licht
brannte. Seine Eltern fanden schließlich heraus, daß er sich
vor einem Monster fürchtete, von dem er seinen Vater oft
hatte sprechen hören; dieses Monster, das in der Phantasie
des Kindes riesig und grauenerregend

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