Danse Macabre
Märchen alles zu überdauern
scheinen, so wie die Disney-Filme, die bevorzugt in den
Schulferien wieder in die Kinos kommen. Eltern, die voller
Entsetzen die Hände heben würden bei dem Gedanken, daß
sie ihre Kinder in Dracula oder The Changeling (mit seiner
überzeugenden Darstellung eines ertrinkenden Kindes) mitnehmen, würden aber sicher nichts dagegen haben, daß der
Babysitter dem Kind vor dem Schlafengehen »Hansel und
Gretel« vorliest. Aber bedenken Sie eines: Die Geschichte
von Hansel und Gretel beginnt mit wissentlicher Aussetzung
(oh ja, die Stiefmutter ist dafür verantwortlich, aber sie ist
dennoch die symbolische Mutter, und derVater ist ein matschköpf iger Trottel, der alles mitmacht, was sie vorschlägt, obwohl er weiß, daß es falsch ist - daher können wir sie als unmoralisch und ihn als böse im biblischen oder Miltonschen
Sinne betrachten), geht weiter zu Entführung (die Hexe im
Knusperhäuschen), Versklavung, illegalem Festhalten und
schließlich zu gerechtfertigtem Mord mit anschließender Verbrennung. Die meisten Mütter undVäter würden ihre Kinder
niemals mitnehmen, um sich Survive anzusehen, einen billigen mexikanischen »Exploitation«-Film, über eine Rugbymannschaft, die die Zeit nach einem Flugzeugabsturz in den
Anden überlebt, weil die Überlebenden ihre toten Mannschaftskameraden verspeisen, aber dieselben Eltern haben
gegen »Hansel und Gretel« nichts einzuwenden, wo die Hexe
die Kinder mästet, damit sie sie essen kann. Wir geben unseren Kindern solche Sachen fast instinktiv, weil wir vielleicht
auf einer tieferen Ebene verstehen, daß solche Märchen die
perfekten Kristallisationspunkte für jene Ängste und Feindschaften sind.
Selbst von Angst geplagte Flugreisende haben ihre eigenen
Märchen - wie diese Airport-Filme, die wie die Märchen und
die Disney-Zeichentrickfilme unausrottbar zu sein scheinen …, die aber nur am Erntedankfest angesehen werden
sollten, weil in allen eine große Anzahl vonTruthähnen mitspielt.
Meine innerste Reaktion auf Creature from the Black Lagoon an jenem längst vergangenen Abend war eine Art
schreckliche, wache Ohnmacht. Der Alptraum spielte sich direkt vor mir ab; jede böse Möglichkeit, die dem menschlichen
Fleische erblich innewohnt, wurde auf der Leinwand des Autokinos durchgespielt.
Etwa zweiundzwanzig Jahre später hatte ich die Möglichkeit, Creature from the Black Lagoon wiederzusehen - nicht
inn Fernsehen, wo jeder dramatische Aufbau und jegliche
Stimmung durch Werbung für Gebrauchtwagen, K-Tel-Discosampler und Underalls-Strumpfhosen unterbrochen wird,
sondern Gott sei Dank intakt, ungeschnitten … und sogar in
3D. Leute wie ich, Brillenträger, haben verdammte Schwie rigkeiten mit 3D, müssen Sie wissen; fragen Sie einen Brille nträger, was er von den netten kleinen Pappkartonbrillen
hält, die sie einem geben, wenn man zur Kinotür hineingeht.
Sollte 3D jemals in größerem Maße wiederkommen, werde
icli zum hiesigen Pearl Vision Center hinuntergehen und siebzig Piepen in eine medizinische Brille investieren: ein Glas
rot, das andere blau. Aber lassen wir die ärgerlichen Brillen
außer acht - ich sollte hinzufügen, daß ich meinen Sohn Joe
m_itgenommen hatte - er war damals fünf, etwa in dem Alter,
in. dem ich an jenem Abend im Autokino gewesen war (und
man stelle sich meine Überraschung vor - meine klägliche Überraschung, als ich feststellte, daß der Film von der
MPAA die Freigabestufe G bekommen hatte … genau wie
die Disney-Filme).*
* In einer meiner Lieblingsgeschichten von Arthur C. Clarke passiert
.genau das. In dieser Vignette landen Außerirdische auf der Erde, nachdem der Große Krieg schließlich doch stattgefunden hat. Am Ende der
Geschichte sitzen die klügsten Köpfe dieser fremden Kultur beisammen und versuchen, die Bedeutung eines Films zu entschlüsseln, den
Als Folge davon hatte ich die Möglichkeit, diese merkwürdige Reise zurück in der Zeit mitzumachen, die die meisten
Eltern meiner Meinung nach nur erleben, wenn sie mit ihren
Kindern Disney-Filme ansehen oder wenn sie ihnen aus den
Pooh-Büchern vorlesen oder sie vielleicht zum Shrine oder
zum Barnum & Bailey-Zirkus führen. Eine populäre Schallplatte kann ein bestimmtes »Set« im Verstand des Zuhörers
auslösen, und zwar einzig wegen ihres kurzen Lebens von
sechs Wochen bis zu drei Monaten, und die »Golden Oldies«
werden deshalb immer noch gespielt, weil sie das emotionale
Äquivalent von gefriergetrocknetem Kaffee sind. Wenn
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