Danse Macabre
sah unsere Besuche dort oben mit Stirnrunzeln, weil die Bodendielen nur
verlegt waren, nicht festgenagelt, und einige fehlten. Ich
denke, es wäre denkbar gewesen, daß man in eine Lücke trat
und Kopf voraus auf den Betonboden unten fiel - oder auf
die Ladefläche des grünen Chevy-Pritschenwagens meines
Onkels.
Für mich war ein kalter Herbsttag des Jahres 1959 oder
1960 auf dem Dachboden über der Garage meines Onkels der
Augenblick, als die innere Wünschelrute sich plötzlich
senkte, als sich die Kompaßnadel mit Nachdruck zu einem
magnetischen Nordpol des Geistes drehte. An jenemTag fand
ich eine Kiste mit Büchern meines Vaters … ,Taschenbüchern
aus den vierziger Jahren.
Vieles vom gemeinsamen Zusammenleben meiner Eltern
befand sich auf diesem Dachboden, und ich kann verstehen,
daß meine Mutter im Kielwasser seines plötzlichen Verschwindens aus ihrem Leben so viel wie möglich an einem
dunklen Ort verstauen wollte. Ein oder zwei Jahre vorher
hatte mein Bruder eine Rolle Film dort gefunden, die mein
Vater an Bord eines Schiffes gedreht hatte. Dave und ich hatten etwas Geld genommen, das wir gespart hatten (ohne daß
es meine Mutter wußte), einen Filmprojektor gemietet und
den Film immer wieder in fasziniertem Schweigen betrachtet. Einmal gab mein Vater jemand anderem die Kamera, und
da war er, Donald King aus Peru, Indiana, und stand an der
Reling. Er hob die Hand; lächelte, winkte unwissend Söhnen
zu, die zu der Zeit noch nicht einmal empfangen worden
waren. Wir spulten ihn zurück, sahen ihn an, spulten ihn zurück, sahen ihn wieder an. Und noch einmal. Hallo, Dad, wir
fragen uns, wo du jetzt sein magst.
In einer anderen Kiste befanden sich Stapel seiner Handbücher von der Handelsmarine, in einer anderen Krimskams
aus fernen Ländern. Meine Mutter erzählte mir, es konnte
vorkommen, daß er mit einem Western in der Tasche herumlief, aber sein wahres Interesse Science Fiction und HorrorGeschichten galt. Er versuchte sich sogar selbst an einigen
und reichte sie den populären Herrenzeitschriften jener Zeit
ein, unter anderem Bluebook und Argosy. Es gelang ihm
letztlich nicht, etwas zu veröffentlichen (»Dein Vater hatte
nicht in seiner Natur, an etwas dranzubleiben«, sagte meine
Mutter einmal zu mir, und das war das einzige Werturteil, das
sie jemals auch nur ansatzweise von sich gab), aber er bekam
mehrere persönliche Ablehnungsbescheide; »Dies-genügtenicht,-aber-schicken-Sie-uns-mehr«-Briefe, wie ich sie als
Teenager zu nennen pflegte, bis ich Anfang zwanzig war, als
ich selbst schon genügend eigene gesammelt hatte (in Zeiten
großer Deprimiertheit habe ich mich manchmal gefragt, wie
es sein würde, sich die Nase mit einem Ablehnungsbescheid
zu putzen).
Die Kiste, die ich an jenemTag fand, war ein Schatzkästlein
alter Avon-Taschenbücher. Damals war Avon der Taschenbuchverlag, der sich der Fantasy und Weird Fiction - der unheimlichen Literatur - angenommen hatte. Ich erinnere mich
voller Hingabe an diese Bücher - besonders an den glänzenden Überzug, den alle Avon-Bücher hatten, eine Mischung
zwischen Fischleim und Cellophanpapier. Wenn die Geschichte langweilig wurde, konnte man diesen Überzug in
langen Streifen vom Umschlag abziehen. Das gab ein herrliches Geräusch. Und ich erinnere mich auch gerne an die
Dell-Taschenbücher der vierziger Jahre, was natürlich wieder
eine Abschweifung ist - damals veröffentlichten sie nur Krimis, und auf der Rückseite war immer eine luxuriöse Karte,
die den Ort des Geschehens zeigte.
Eines dieser Bücher war eine Avon-»Auswahlsammlung« das Wort Anthologie betrachtete man offenbar als zu esoterisch für Leute, die solche Sachen lasen. Sie enthielt Geschichten von Frank Belknap Long (»The Hounds of Tindalos«), Zelia Bishop (»The Curse ofYig«) und eine Menge andere Geschichten aus den Anfangstagen der Zeitschrift Weird
Tales. Zwei andere waren Romane von A. Merritt Burn,
Witch, Burn (nicht zu verwechseln mit dem späteren Roman Conjure Wife von Fritz Leiber) und The Metal Monster.
Die Krone der Sammlung war jedoch eine Kurzgeschichte
von H. P. Lovecraft aus dem Jahr 1947 mit dem Titel The
Lurking Fear and Other Stories. An das Umschlagbild kann
ich mich noch gut erinnern: ein Friedhof irgendwo (in der
Nähe von Providence, könnte man vermuten!), nachts, unter
einem Grabstein kommt ein abscheuliches grünes Ding mit
langen Reißzähnen und roten Augen hervor. Dahinter, angedeutet, aber nicht deutlich gezeichnet, führt einTunnel in
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