Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
laut beklagt worden sind. Ein wenig Nostalgie ist gut für die Seele, und ich glaube, ich habe meiner
genügend gefrönt.
Aber ich möchte etwas über die Phantasie als Werkzeug in
der Kunst und Wissenschaft, den Leuten eine Scheißangst zu
machen, sagen. Es ist nicht von mir; ich habe gehört, wie William F. Nolan es 1979 beimWorld-Fantasy-Konvent in einem
Vortrag ausgedrückt hat. Nichts ist so schrecklich wie das,
was sich hinter der verschlossenenTür befindet, hat Nolan gesagt. Sie nähern sich der Tür in dem alten, verlassenen Haus,
und Sie hören, wie etwas daran kratzt. Das Publikum hält zusammen mit dem Protagonisten oder der Protagonistin den
Atem an, während er oder sie (häufiger sie) sich der Tür nähert. Der Protagonist stößt sie auf, und dahinter steht ein drei
Meter hohes Insekt. Das Publikum schreit, aber dieser Schrei
hat etwas seltsam Erleichtertes an sich. »Ein drei Meter großes Insekt ist ziemlich schrecklich«, denkt das Publikum,
»aber mit einem drei Meter großen Käfer kann ich zurechtkommen. Ich hatte Angst gehabt, er könnte dreißig Meter
groß sein.«
Denken Sie, wenn Sie möchten, an die schrecklichste
Szene in The Changeling. Die Heldin (TrishVan Devere) ist
zu dem Spukhaus aufgebrochen, das ihr neuer Freund
(George C. Scott) gemietet hat, weil sie glaubt, daß er Hilfe
brauchen könnte. Scott ist überhaupt nicht dort, aber eine
Reihe leiser, verstohlener Geräusche wiegt sie in dem Glauben, er wäre es. Das Publikum verfolgt gebannt, wie Trish
zum zweiten Stock hinaufgeht; zum dritten Stock; schließlich
steigt sie die schmale und spinnwebverhangene Holztreppe
zum Dachboden hinauf, wo achtzig Jahre zuvor ein kleiner
Junge auf eine besonders üble Weise ermordet worden ist. Als
sie den Raum erreic ht, wirbelt der Schaukelstuhl des Jungen
plötzlich herum und verfolgt sie, jagt sie kreischend alle drei
Treppen hinunter, verfolgt sie den Flur entlang und kippt
schließlich nahe der Eingangstür um. Das Publikum schreit,
während der leere Schaukelstuhl die Dame verfolgt, aber der
wahre Schrecken ist schon vorbei; er kam, als die Kamera die
langen, schattigenTreppen zeigte, während wir uns vorzustellen versuchten, wie es sein würde, diese Treppe emporzugehen und darauf zu warten, daß ein noch unsichtbares Grauen
stattfindet.
Bill Nolan sprach als Drehbuchautor, als er das Beispiel
vom großen Insekt hinter der Tür brachte, aber das Wesentliche trifft auf alle Medien zu. Was hinter der Tür oder am Ende
der Treppe lauert, ist niemals so schrecklich wie die Tür oder
die Treppe selbst. Und deswegen haben wir folgendes Paradoxon: Ein künstlerisches Werk des Horrors ist fast immer eine
Enttäuschung. Es handelt sich um eine klassische Situation,
in der man nicht gewinnen kann. Man macht den Leuten
lange, lange Zeit mit dem Unbekannten Angst (das klassische Beispiel dafür ist, wie Bill Nolan ebenfalls darlegte, der
Film Curse of he Demon von JacquesTourneur mit Dana Andrews), aber früher oder später muß man, wie beim Pokern,
die Karten aufdecken. Man muß die Tür aufmachen und dem
Publikum zeigen, was dahinter ist. Und wenn das, was dahinter ist, ein Insekt ist, das nicht drei Meter, sondern dreißig
Meter groß ist, dann wird das Publikum einen Seufzer oder
einen Aufschrei der Erleichterung von sich geben und denken: »Ein dreißig Meter großes Insekt ist ziemlich schrecklich, aber mit einem dreißig Meter großen Insekt kann ich fertig werden. Ich hatte Angst gehabt, es könnte dreihundert Meter groß sein.« Es ist so - und angesichts solch hübscher
Dinge wie Dachau, Hiroshima, dem Kinderkreuzzug, der
Hungersnot in Kambodscha und dem, was in Jonestown, Guyana, geschehen ist, ist es sogar ziemlich gut -, daß das
menschliche Bewußtsein mit fast allem fertig werden
kann …, und das stellt den Autor oder Regisseur von HorrorGeschichten vor ein Problem, welches das psychologische
Äquivalent dazu ist, angesichts der Formel E = mc 2 einen
Überlichtantrieb zu erfinden.
Es hat immer eine Schule von Horror-Autoren gegeben
(ich gehöre nicht dazu), die der Meinung ist, daß man das
Problem umgeht, indem man die Tür überhaupt nicht aufmacht. Das klassische Beispiel dafür - es geht sogar um eine
Tür - ist Robert Wises Verfilmung von Shirley Jacksons
Roman The Haunting of Hill House. Was die Handlung anbelangt, unterscheiden sich der Film und der Roman nicht sehr,
aber sie unterscheiden sich meiner Meinung nach deutlich in
bezug auf Dynamik, Standpunkt und abschließenden

Weitere Kostenlose Bücher