Danse Macabre
und die gute alte Julie Adams ganz sicher
zum dritten Mal runtergehen würden, und das Bild, das sich
ewig hält, ist das des Monsters, wie es geduldig seine Opfer in
der schwarzen Lagune einschließt; ich kann es sogar jetzt
noch über diese wachsende Mauer aus Lehm und Ästen spähen sehen.
Seine Augen. Seine uralten Augen.
v
RADIO UND DIE KULISSE DER
REALITÄT
l
B
ücher und Filme sind schön und gut, und wir werden
bald wieder auf sie zu sprechen kommen, aber bevor wir
das tun, möchte ich gerne ein wenig vom Radio Mitte der
fünfziger Jahre erzählen. Ich werde mit mir selbst anfangen,
und von mir können wir dann hoffentlich auf eine lohnenswertere Allgemeinheit schlie ßen.
Ich gehöre zum letzten Viertel der letzten Generation, die
Hörspiele als aktive Kraft in Erinnerung hat - eine dramatische Kunstform mit ihrer eigenen Kulisse der Realität. Das
ist eine gute Aussage, soweit sie reicht, aber natürlich reicht
sie nicht annähernd weit genug. Das wahre, goldene Zeitalter
des Rundfunks endete um 1950, dem Jahr, mit dem dieser beiläufige Versuch einer Mediengeschichte beginnt, dem Jahr, in
dem ich meinen dritten Geburtstag feierte und mein erstes
volles Jahr begann, in dem ich aufs Töpfchen ging. Als Kind
der Medien konnte ich freudig der Geburt des Rock’n’Roll
beiwohnen und sehen, wie er gesund aufwuchs …, aber in
meinen jungen Jahren war ich auch am Totenbett des Rundfunks als eigenständigem, dramatischem Medium.
Man kann immer noch Hörspiele im Radio finden, weiß
Gott CBS Mystery Theater wäre ein Beispiel -, und es gibt
sogar Komödien, wie jeder hingebungsvolle Anhänger des
bodenlos unfähigen Superhelden Chickenman weiß. Aber
das Mystery Theater wirkt seltsam flach, seltsam tot; nur eine
Kuriosität. Es ist nichts von dem heftigen, emotionalen
Stromschlag zu spüren, den man abbekam, wenn die quietschenden Türen von Inner Sanctum allwöchentlich aufschwangen oder während Dimension X, I Love a Mystery oder den frühen Tagen von Suspense. Wenngleich ich mir Mystery Theater anhöre, wann immer ich kann (und feststellen
muß, daß sich E.G. Marshall als Erzähler großartig macht)
kann ich es nicht besonders empfehlen; und es ist ein glücklicher Zufall, wie ein Wagen Marke Studebaker, der immer
noch läuft - gerade so - oder der letzte überlebende Alk.
Mehr noch, das CBS Mystery Theater ist wie ein Starkstromkabel, durch das einst eine große, fast tödliche Spannung lief
das aber heute unerklärlich kalt und harmlos daliegt. TheAdventures of Chickenman, eine auf mehreren Kanälen gleichzeitig laufende Komödiensendung, funktioniert wesentlich
besser (aber das ist bei Komödien, die ein ebenso natürliches
Hör- wie Seh-Medium sind, häufig so), doch der stümperhafte, tolpatschige Chickenman ist sicher auch nicht jedermanns Geschmack, so wie Schnupftabak nehmen oder
Schnecken essen. Meine Lieblingsszene in Chickenmans
Laufbahn ist die, als er in Stiefeln, engem Kostüm und Mantel in den Stadtbus einsteigt und feststellt, daß er deshalb kein
Kleingeld für die Fahrt hat, weil er keine Taschen hat.* Doch
so reizend Chickenman für mich ist, wie er tolpatschig von
einem bodenlosen Abenteuer ins nächste stolpert - und
immer dichtauf verfolgt von seiner jüdischen Mutter, die gute
Ratschläge und Hühnersuppe mit Mateo/zbällchen bereit hat
-, er ist niemals völlig im Brennpunkt …, abgesehen vielleicht von dem einen Augenblick, als er niedergeschlagen vor
dem Busfahrer steht, den Mantel zwischen den Beinen. Ich
lächle über Chickenman, ich habe ab und zu sogar schon gekichert; aber es gibt niemals Augenblicke, die so herzerfrischend komisch sind wie der, wenn Fibber McGee, der so unaufhaltsam ist wie die Zeit selbst, sich seinem Schrank nähert
oder wenn ehester A. Riley sich auf lange und unbehagliche
Gespräche mit seinem Nachbarn einläßt, einem Bestattungsunternehmer namens Digger O’Dell (»He sure is swell«).
* Für einige Leute funktioniert Chickenman überhaupt nicht. Mein
guter Freund Mac McCutcheon spielte einmal einer Gruppe von
Freunden eine Platte mit Abenteuern des Großen Tolpatschs vor, und
diese hörten mit höflichen, nichtssagenden Gesichtsausdrücken zu.
Niemand kicherte auch nur. Wie Steve Martin in The Jerk sagt: »Nehmen Sie die Schnecken von ihrem Teller und bringen Sie ihr einen
Schinkentoast, wie ich von Anfang an gesagt habe!«
Von den Rundfunksendungen, an die ich mich noch deutlich erinnere, gehört nur eine zu Recht in den Danse Macabre, nämlich
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