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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Suspense, das ebenfalls vom CBS Radio Network präsentiert wurde.
    Mein Großvater (derjenige, der als junger Mann fürWinslow Homer gearbeitet hat) und ich erlebten denTodeskampf
des Rundfunks eigentlich zusammen. Im Alter von zweiundachtzig Jahren war er ein recht kräftiger und gesunder
Mann, aber man konnte ihn nicht verstehen, weil er einen
dichten Bart und keine Zähne mehr hatte. Er sprach oft manchmal lautstark -, aber nur meine Mutter konnte wirklich verstehen, was er sagte. »Gissengroppen fuzzwah
grupp?« konnte er zu mir sagen, während wir seinem alten
Tischmodell Marke Philco zuhörten. »Ganz recht, Großpapa«, pflegte ich dann ohne die geringste Ahnung, worauf
ich mich eingelassen hatte, zuzustimmen. Nichtsdestotrotz
hatten wir das Radio, das uns verband.
    Um diese Zeit - ungefähr 1958 - bewohnten mein Großvater und meine Großmutter ein Wohn-Schlafzimmer, einen
umgebauten Salon, der das größte Zimmer in einem kleinen
Haus in Neu-England war. Er konnte sich bewegen - gerade
so -, aber meine Großmutter war blind und bettlägerig und
schrecklich korpulent, ein Opfer von zu hohem Blutdruck.
Ab und zu wurde ihr Verstand klar; aber meistens verfiel sie
in lange und aufgeregte Monologe und sagte uns, daß das
Pferd gefüttert werden mußte, daß sie nach dem Feuer sehen
sollte, daß jemand ihr beim Aufstehen helfen sollte, damit sie
Kuchen für das Fest der Elks backen konnte. Manchmal
sprach sie mit Flossie, einer Schwester meiner Mutter. Flossie
war vierzig Jahre vorher an Meningitis gestorben. Die Situation in dem Zimmer war also folgende: Mein Großvater war
bei klarem Verstand, aber unverständlich; meine Großmutter
war verständlich, aber vollkommen senil.
    Irgendwo dazwischen war Opas Radio.
An Abenden, wenn wir Radio hörten, nahm ich einen Sessel und schob ihn in meines Großvaters Ecke im Zimmer, und
er zündete eine seiner riesigen Zigarren an. Der Gong ertönte für Suspense, oder Johnny Dollar würde die Geschichte
dieser Woche durch die (meines Wissens) einzigartige Einführung eröffnen, sein Spesenkonto aufzuzählen, oder die
Stimme von Bill Conrad als Matt Dillon würde ertönen, tief
und irgendwie unaussprechlich matt: »Es macht einen Mann
wachsam … und ein bißchen einsam.« Für mich bringt der
Geruch von Zigarrenrauch in einem kleinen Zimmer sein eigenes Sortiment geisterhafter Erinnerungen mit sich: Sonntag abends Radio mit meinem Großvater. Das Ächzen von
Schwingtüren, das Klirren von Sporen … oder der Schrei am
Ende der klassischen Folge »You Died Last Night« von Suspense.
Sie starben tatsächlich, eines nach dem anderen, diese
letzte Handvoll Radioprogramme. Gunsmoke zuerst. Die
Fernsehzuschauer assoziierten das Gesicht von Matt Dillon,
das sie sich die vergangenen zehn Jahre nur hatten vorstellen
können, mit dem von James Arness, Kitty mit Amanda
Blake, Doc mit Milburn Stone und ehester natürlich mit dem
Gesicht von Dennis Weaver. Ihre Gesichter und Stimmen verdrängten die Stimmen, die aus dem Radio kamen, und selbst
heute, zwanzig Jahre später, ist es die eifrige, etwas winselnde
Stimme von Weaver, die ich mit ehester Good in Zusammenhang bringe (oder ehester Proudfoot, wie er in der Rundfunkserie hieß), wie er voll hektischen Enthusiasmus den
Gehweg von Dodge City entlangstürmt und ruft: »Mr. Dillon! Mr. Dillon! Drunten im Longbranch gibt’s Ärger!« Johnny Dollar ging etwa ein Jahr später; er zählte sein letztes
Spesenkonto auf und verschwand in dem Limbo, das für
Versicherungsdetektive im Ruhestand reserviert ist.
Suspense, die letzte der grusligen, alten Horror-Sendungen, starb am selben Tag wie Johnny Dollar: am 30. September 1962. Mittlerweile hatte das Fernsehen seine Fähigkeit
unter Beweis gestellt, seinen eigenen Horror zu produzieren;
wie Gunsmoke hatte auch Inner Sanctum den Sprung vom
Radio ins Fernsehen geschafft, und die Schwingtür wurde
endlich sichtbar. Und sichtbar war sie wirklich hinreichend
schrecklich - etwas schief und von Spinnweben übersät -,
aber sie war dennoch eine Erleichterung. Nichts hätte so
schrecklich aussehen können, wie diese Tür klang. Ich werde
nun eine lange Abhandlung darüber vermeiden, weshalb das
Radio genau gestorben ist oder in welcher Weise es dem Fernsehen überlegen war, was die Anstrengungen der Phantasie
anbetrifft, die es dem Zuhörer abverlangte (wenngleich wir
das kurz streifen werden, wenn wir von dem großen Arch
Oboler sprechen), weil Hörspiele schon zu sehr analysiert
und ganz sicher zu

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