Danse Macabre
hundertsten Fall, und es gibt das Konzept der Aufhebung des Unglaubens. Als Folge dessen reiße ich immer irgendwann im Verlauf des Fests dieTür auf; ich lege meine Karten lieber aufgedeckt auf den Tisch. Und wenn das Publikum
nicht vor Entsetzen, sondern vor Lachen schreit, wenn es den
Reißverschluß am Rücken des Monsters sieht, dann muß
man eben wieder zurück ans Reißbrett und es noch einmal
versuchen.
Das Aufregende am Radio in seiner Glanzzeit war, daß es
die ganze Frage umging, ob man dieTür aufmachen oder geschlossen lassen sollte. Radio war durch die Natur dieses Mediums davon ausgenommen. Für die Zuhörer der Jahre 1930
bis 1950 waren in ihrer Kulisse der Realität keine visuellen Erwartungen zu erfüllen.
Was ist also mit dieser Kulisse der Realität? Aus Gründen
des Vergleichs und des Kontrasts ein weiteres Beispiel aus der
Filmbranche. Einer der klassischen Gruselfilme, den ich als
Kind immer verpaßt habe, war Val Lewtons Cat People (dt: Katzenmenschen), unter der Regie von Jacques Tourneur.
Wie Freaks, ist auch das einer der Filme, die zur Sprache
kommen, wenn sich die Unterhaltung unter Fans darum
dreht, was einen »guten Horror-Film« ausmacht - andere
sind Curse of the Demon, Dead of Night (dt: Traum ohne
Ende) und The Creeping Unknown (dt: Schock), denke ich,
aber bleiben wir vorläufig bei dem Val-Lewton-Film. Es ist
ein Film, an den sich viele Leute mit Hingabe und Respekt
aus ihrer Kinderzeit erinnern - einer, der ihnen eine Scheiß angst machte. Zwei spezielle Szenen aus dem Film werden
stets angesprochen; beide drehen sich um Jane Randolph
das »gute« Mädchen, das von Simone Simon bedroht wird’
dem »bösen« Mädchen (die, seien wir ehrlich, nicht wissentlicher böse ist als der arme alte Larry Talbot in The Wolf Man). In einer Szene ist Ms. Randolph in einem Swimmingpool im
Kellergeschoß gefangen, während eine riesige Dschungelkatze sie bedroht, die immer näher kommt. In der anderen
Szene geht sie durch den Central Park, und die Katze kommt
immer näher und näher …, macht sich zum Sprung bereit …,
wir hören ein hartes, hustendes Brüllen …, das, wie sich herausstellt, nur die Druckluftbremse eines eintreffenden Busses ist. Ms. Randolph steigt ein, das Publikum ist schlaff vor
Erleichterung und hat das Gefühl, daß eine schreckliche Katastrophe gerade eben noch abgewendet worden ist.
Nach dem beurteilt, was er psychologisch bewirkt, möchte
ich nicht widersprechen, daß Cat People ein guter, vielleicht
sogar ein großartiger, amerikanischer Film ist. Er ist mit ziemlicher Sicherheit der beste Horror-Film der vierziger Jahre.
Grundlage des Mythos der Katzenmenschen - der Werkatzen, wenn Sie so wollen -, ist eine zutiefst sexuelle Angst;
Irena (Ms. Simon) wurde als Kind schon davon überzeugt,
daß jede Zurschaustellung von Leidenschaft bewirken wird,
daß sie sich in eine Katze verwandelt. Dennoch heiratet sie
Kent Smith, der so von ihr fasziniert ist, daß er sie zumTraualtar führt, wenngleich uns klar ist, daß er seine Hochzeitsnacht - und viele Nächte danach - auf dem Sofa verbringen
wird. Kein Wunder, daß sich der arme Kerl schließlich Jane
Randolph zuwendet.
Aber um wieder auf diese beiden Szenen zu sprechen zu
kommen: In einer funktioniert der Swimmingpool ausgezeichnet. Hier erwiesen sich Lewis und sein Regisseur
Jacques Tourneur wie Stanley Kubrick als Meister des Wettkampf s, indem sie die Szene bis zur Perfektion ausleuchteten
und sämtliche Variablen kontrollierten. Wir spüren die Wahrheit dieser Szene überall, von den gekachelten Wänden, dem
Schwappen des Wassers im Pool bis hin zu dem leichten Echo,
wenn Ms. Randolph spricht (um die von der Zeit geheiligte
Frage des Horror-Films zu stellen: »Wer ist da?«). Und ich bin
sicher, daß die Szene im Central Park für das Publikum der
vierziger Jahre funktioniert hat, aber heute würde sie einfach
nicht mehr packen; sogar draußen im Hinterland würde das
Publikum johlen und brüllen vor Lachen.
Ich habe den Film schließlich als Erwachsener gesehen und
einige Zeit darüber gerätselt, was das ganze Geschrei sollte.
Ich glaube, ich bin schließlich dahintergekommen, warum
die Verfolgung im Central Park damals funktionierte und
heute nicht mehr. Es hat etwas damit zu tun, was Filmtechniker »Stand derTechnik« nennen. Aber das ist nur der technische Ausdruck für etwas, das ich die »visuelle Kulisse« oder
die »Kulisse der Realität« genannt habe.
Wenn Sie die Möglichkeit haben, sich The Cat
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