Dante Valentine 03 - Feuertaufe
auf die Schulter. „Immer mit der Ruhe, Hedaira.“ Klang er etwa auch noch amüsiert? „Für dich besteht keine Gefahr.“
Das Gesicht der Kreatur veränderte sich von einem Moment zum anderen. Aus dem geschlechtslosen und durchsichtigen, ach so schönen Gesicht schoben sich die Kieferknochen vor, die Nasenlöcher verwandelten sich in Schlitze, die bleich leuchtenden Augen wölbten sich nach außen. Es war nur ein kurzes Aufflackern, und schon war die Erscheinung wieder verschwunden. Ich schnappte nach Luft und taumelte nach hinten, bis sich Japhrimels Finger in meinen Arm gruben, um mich am Fallen zu hindern.
Das ganze Kirchenschiff erbebte, als der geschmeidige Körper des Wesens zu einer fließenden Schlangenform zusammenschmolz, als hätte es keine Knochen, ehe es wieder seine vorherige menschliche Gestalt annahm. Die Flügel raschelten, weiße Federn flogen durch die Luft, der Geruch von gebackenem Brot und süßem Parfüm überschritt jedes erträgliche Maß.
Eine Hedaira, die den Sippenmörder beschützen will. Die Stimme, deren glockengleicher Klang plötzlich brüchig geworden war, wühlte sich durch meinen Schädel. Die Zeit der Abrechnung ist gewiss nicht mehr fern.
Ich habe nicht versucht, ihn zu beschützen. Ich hätte dich umgebracht, wenn du dein Schwert gezogen hättest, verdammt noch mal. Ich brachte die Sätze nicht über die Lippen.
„Das spielt keine Rolle.“ Japhrimel zog mich mit sich. Ich ließ das Ding nicht aus den Augen, obwohl es jetzt die Hand vom Griff seines Schwertes nahm. Die Flügel kamen wieder zur Ruhe, während wir uns ganz vorsichtig Schritt für Schritt entfernten. „Wenn noch andere meiner Art kommen, erzähle ihnen, was du willst. Aber füge stets hinzu: Solange die Herrschaft des Fürsten andauert, steht meine Hedaira unter seinem Schutz. Das bedeutet, ich bin geneigt, seinen … Wünschen … mit großem Wohlwollen zu begegnen.“
Meine Knie hätten beinahe unter mir nachgegeben, als mir endlich klar wurde, was ich soeben getan hatte. Die Kerzenflammen zischten. Japhrimel zog mich zur Tür hinaus ins Freie. Die frische Luft war nach dem süßlichen Mief im Tempel eine einzige Wohltat. Irgendwie hatte er es sogar geschafft, auch noch meine Scheide aufzuheben, obwohl er die Hand nicht von meiner Schulter genommen hatte. Er gab sie mir, als wir auf den Stufen standen und das Holztor sich hinter uns schloss. Ich vernahm ein glucksendes Lachen. Durch den immer schmaler werdenden Schlitz zwischen Tor und Rahmen quoll eine dicke Wolke süßen Parfüms.
Der Fürst wird nicht zulassen, dass eine Hedaira am Leben bleibt, Sippenmörder. Ganz besonders nicht deine Hedaira. Du würdest gut daran tun, dich an die Weiße Festung zu erinnern und an die Schreie der Gefallenen …
Das Tor fiel ins Schloss. Im Garten mischte sich das Rascheln der Blätter mit dem Rauschen von Gefieder. Ich musste husten, mein ganzer Rachen war rau. Mir tränten die Augen, aber das Schwert konnte ich in die Scheide stecken, auch ohne etwas zu sehen.
Japhrimel schubste mich die Stufen hinunter. Ich stolperte, er fing mich auf und legte den Arm um mich. Aber das war mir gleichgültig. Ich wollte nur noch weg von hier, so schnell wie möglich. Meine Stiefel hallten auf den Steinfliesen wider, Japhrimels nicht.
Was war die Weiße Festung? Das Dach der Welt? Dieses Ding hatte einen geheimen Vorrat von irgendetwas aufbewahrt, und jetzt war er weg. Wonach suchte Japhrimel? Verdammter Mist! Frustration stieg in mir hoch. Anne und Beine kribbelten, als wären sie eingeschlafen. „Ihr Götter!“ Ich hustete erneut und hätte am liebsten ausgespuckt, um meinen Hals freizubekommen, ließ es aber bleiben. „Was zum …“ Ich bekam nicht genug Luft, um den Satz zu beenden. Pflanzen berührten mich, Blätter, Äste, als wollten winzige Finger nach mir grabsehen.
„Anhelikos.“ Japhrimels Tonfall war gelassen, nachdenklich. „Sie ernähren sich von Zorn. Und von Hass. Du bist vermutlich der erste Mensch seit knapp fünfhundert Jahren, der einen von ihnen gesehen hat.“ Er stieß das schmale Holzgatter auf. Als wir durch den transparenten Schutzschild traten, durchzuckte mich ein Schauder. Japhrimel zog mich fest an seine Seite. Mein Schwert schlug mir gegen das Bein. „Du bist vermutlich das einzige Lebewesen, das innerhalb eines ihrer Nester das Schwert gezogen und es überlebt hat. Das war unbesonnen.“
„Entschuldigung.“ Ich hörte mich nicht an, als würde es mir wirklich leidtun. Ich
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