Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dante Valentine 05 - Hoellenschlund

Dante Valentine 05 - Hoellenschlund

Titel: Dante Valentine 05 - Hoellenschlund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
Vom Netzwerk:
auf Doreens Tochter, in etwa so, wie ein Überlebender eines Schiffsunglücks nach einem Stück Treibholz greift. Sie war als kleines Mädchen in die Hölle gebracht worden. Was hatte Luzifer ihr angetan, dass sie so entschlossen die Rebellion wagte?
    Hatte es wehgetan? Hatte er ihr das Innere herausgekratzt und so auch in ihrem Kopf ein großes schwarzes Loch hinterlassen?
    Das machte mir zu schaffen. Das machte mir schwer zu schaffen. Wenn ich mir vorstellte, was er Eve vermutlich angetan hatte – Eve, die wie die Tochter für mich war, die ich vermutlich selbst nie haben würde –, dann würde es mir vielleicht, aber nur vielleicht, gelingen, nicht über die Übergriffe auf meinen eigenen Körper nachzudenken.
    Mein Körper.
    Bring ihn um , für Eve, für dich seihst, flüsterte mir eine Stimme ins Ohr. Sie leckte an den Rändern meines Hirns wie eine heiße Flamme.
    „Lass ihn dafür zahlen“, flüsterte ich dem leeren Schlafzimmer zu, als der Gleiter plötzlich nach oben gerissen wurde. Wieder drehte sich mir der Magen um. Ich glitt mit dem Rücken an der Tür hinunter und wiederholte, was ich gerade gesagt hatte. Mit Japhrimel an meiner Seite wäre es möglich. Ich konnte es tun.
    Jetzt gab es keinen Ausweg mehr. Das Witzige war nur: Wenn ich es mir recht überlegte, hatte es eigentlich zu keinem Zeitpunkt einen Ausweg gegeben.

13
     
     
    Es gibt da diesen alten Psionen-Witz, abgeleitet aus einem Zenmo-Koan. Er geht so: Welches war der höchste Berg der Welt, bevor man den Chomo Lungina entdeckte?
    Die Antwort ist, wie nicht anders zu erwarten, ein weiterer Zenmo-Witz: Es ist immer noch der in deinem Kopf.
    Normalos verstehen die Pointe nicht. Aber so ziemlich jeder Psion, der ihn hört, kringelt sich vor Lachen. Als Kind lacht man noch fröhlich und unschuldig darüber, mit achtzehn mischt sich eine gewisse Weltverdrossenheit in das Lachen, und wenn man älter wird, entlockt der Witz einem ein wissendes Lächeln. Kampftrainierte Psione, Kopfgeldjäger, Bullen und staatliche Agenten lachen, als stecke in ihrem Mund ein Übermaß an Bitterkeit – wir wissen, wie wahr dieser Witz ist. Geografische Äußerlichkeiten können einen nicht aufhalten. Was uns den Weg versperrt, sind die Verwerfungen, Spalten und Gipfel in unseren Köpfen.
    Chomo Lungina ist der Name des Berges: Große-Mutter-Berg. Wie ein Zahn, unter dem sich das Zahnfleisch auffaltet, erhebt er sich aus dem Rest des Himalaya. Aus seinem Fels und seinem Eis dröhnt Psinergie wie eine Bassnote. Er ist mehr als nur ein Berg. Generationen haben ihn mit ihrem Glauben und ihren Gedanken zu einem Symbol des geduldigen Verharrens und des Unbezwingbaren gemacht, ganz gleich, wie viele Menschen ohne Zuhilfenahme der Gleitertechnologie zu seinem Gipfel aufgestiegen sind. Ihn zu erklimmen ist immer noch ein Glaubensakt.
    Unser Gleiter schwebte durch einen Nachthimmel, an dem die Sterne ohne die Lichtverschmutzung durch die Stadt wie Brillanten glänzten. Die Berge rund um die „Mutter“ sind für die Freistadt Tibet eine historische Zone, in der Städte nicht erlaubt sind und die wenigen Tempel nur mit Fackeln, Öllampen und Kerzen beleuchtet werden dürfen. Auch Gleiter dürfen sie nur äußerst selten überfliegen.
    Ich lehnte die Stirn gegen die kalte Plasglasfensterscheibe und blickte hinaus. Das Jaulen des Gleiters bohrte sich mir in den Schädel, rüttelte an meinen Backenzähnen, schnitt mir durch die Knochen. Unter dem Metallbauch des Gleiters vibrierten eingefaltete Gletscherspalten und mit Steinen übersäte Schluchten wie ausgefranste Seile. Das Sternenlicht tanzte über den Schnee und die rasiermesserscharfen Felsmassive. Hier oben war die Luft so dünn, dass sie Funken schlug.
    Die schmale Sichel des abnehmenden Mondes glitt über den gleichgültigen Himmel, ohne das Gelände zu erhellen.
    Als Japhrimel hereinkam, hatte ich mich schon eine ganze Zeit lang nicht mehr gerührt, sondern reglos die Silhouetten der Berge und ihrer aller Mutter betrachtet.
    Er schloss die Tür hinter sich und blieb schweigend stehen. Das Mal an meiner Schulter hatte nicht einen Moment aufgehört, wie ein Signalfeuer zu pulsieren. Suchend ließ ich den Blick über Schluchten und Steinhügel gleiten. Das matte Licht der Sterne konnte mich nicht täuschen. Die Berge waren zwar schneebedeckt, aber der Schnee vermochte ihre scharfen Konturen nicht zu verbergen. Im Gegenteil, jede einzelne Kante stach deutlich hervor.
    Wieder war ich von meiner Stimme überrascht.

Weitere Kostenlose Bücher