Danyel - Mit dem Schicksal lässt sich handeln
Welt eine absolute
Neuigkeit.
Vorher war es einfacher gewesen. Doch die Zeit,
als die Pergamente noch in hohen Regalen lagerten, lag in der Vergangenheit.
Dafour war seit jeher zuständig für die Papiere und nun wurden sie eben
ausgeliefert, statt in wie auch immer geordneten Fächern zu verstauben.
Mit Leichtigkeit hatte Danyel einhundert Männer
ausgewählt und aus ihnen die Boten erschaffen. Für diese war es ein Geschenk,
gern angenommen, und sie bewiesen ihre Loyalität und Dankbarkeit jeden Tag aufs
Neue. Um die Logistik kümmerte sich Dafour und bisher lief alles reibungslos.
Wie er seine Arbeit machte, war Danyel egal. Für ihn zählte nur, dass jeder
Bote seine rund 720 Pergamente pro Tag ablieferte. Eine Übergabe dauerte bloß
einige Sekunden – wenn sie sich Zeit ließen. Wer schnell agierte, hatte sein
Pensum rasch erfüllt. Anschließend konnten sie ihre Freizeit gestalten, wie sie
es wollten.
„Hat sich für heute wieder einer angekündigt?“
Dafour hielt inne. „Warum fragst du mich das
jeden Tag aufs Neue? Natürlich! Du könntest zig Verhandlungen führen, wenn wir
nicht auswählen würden. Das weißt du.“
„Ja. Jeden Tag das Gleiche.“ Danyel stand auf
und streckte sich.
Dafour positionierte die Kiste auf dem
Rollwagen. Sie war nicht ganz voll, doch er ließ kein weiteres Wort deswegen
verlauten. Stattdessen schob er die Fracht vor sich her. Danyel sah ihm nach
und ließ dann einmal mehr zufrieden seinen Blick durch den großen Raum gleiten.
Dafour fand es übertrieben, dass Danyel ausgerechnet eine Kirche als Domizil
gewählt hatte. Aber es war ja auch nicht irgendeine. Der Petersdom, einst
gefüllt mit christlichen Werten, war nun das Haus des Schicksals. Nichts war
mehr so, wie es einst gewesen war …
Danyel grinste und war gespannt, wer ihm
diesmal gegenüberstehen würde, um mehr Zeit zu erbitten. In der Zwischenzeit wandte er seine Aufmerksamkeit der Tier- und
Pflanzenwelt zu. Deren Entwicklung gefiel ihm nicht sonderlich, doch untersagte
er sich selbst, die Evolution zu beeinflussen. Das hatte er nie getan und
wollte es auch nicht. Der Kreislauf der Natur war nicht seine Aufgabe, nur die
Zeit.
Eins
Kilian strich über das Pergament, welches in einer
Klarsichtfolie steckte. Es kam ihm vor, als würde die Zeit immer schneller
vergehen. Gestern hatte er seinen vierundzwanzigsten gefeiert und wurde
schmerzlich daran erinnert, dass dieser für Monja eine völlig andere Bedeutung
hatte. Das Leben seiner Schwester wäre in diesem Alter fast vorbei. Monja
ertappte ihn und schlug die Mappe zu.
„Denkst du schon wieder darüber nach?“ In ihren
Worten klang ein strafender Ton mit.
„Es fällt mir eben schwer, zu akzeptieren, dass
dir nicht mehr viel Zeit bleibt.“
„Mach es, wie ich. Denk einfach nicht dran“,
erwiderte sie leichthin.
„Ich kann es aber nicht!“
Monja sah ihn an. Der liebevolle Blick und das
herzliche Lächeln auf ihren Lippen riefen Traurigkeit in ihm hervor. Er wollte
und konnte nicht akzeptieren, dass er dieses Gesicht in etwas mehr als fünf
Jahren nicht mehr ansehen könnte. Sie war eine Schönheit; das dunkelblonde Haar
fiel leicht gelockt bis auf die Schultern, die wachen grün-grauen Augen und der
sanft geschwungene Mund, die schmale Taille und eine schlanke Gestalt. Seine
Prinzessin.
„Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du
mir von deinen Träumen erzählt … sind sie es nicht wert, zu kämpfen? Damit sie
in Erfüllung gehen können?“
Sie schüttelte den Kopf. „Manchmal frage ich
mich, wer von uns beiden das ältere Kind ist. Man sollte meinen, dass du etwas
mehr Verstand besitzt. Natürlich habe ich diesen Traum. Von einem Mann, mit dem
ich alt werden kann, von Kindern und Enkeln … aber er wird nicht wahr werden.
Hör auf, so traurig zu sein, großer Bruder! Genieße die Zeit, die wir haben.“
Kilian schnaubte.
„Außerdem weißt du, was Mama davon hält! Wenn
sie herausfindet, dass du noch immer die Entscheidung des Schicksals infrage
stellst, wird sie ausflippen.“
„Ich weiß. Aber ich kann nicht anders. Es geht
dabei ja auch um sie. Wenn ich könnte, ich würde sofort mit dir tauschen! Ich
werde sie nie zur Großmutter machen – aber ich will, dass sie ein Enkelkind in
den Armen wiegen kann. Dein Kind.“
Monja ließ die Schultern hängen. „Mag sein.
Aber mit dieser Bürde könnte ich nicht leben. Selbst wenn du es schaffen
würdest, wenn wir unsere Zeit tauschen könnten, blieben dir nur noch …
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