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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sich nach dem langen Tag an wie ausgedörrt. Im Gehen träumte ich von einer Dusche und kaltem, klaren Wasser auf der Haut.
    »Die haben uns gerade noch gefehlt«, hörte ich Neél plötzlich murmeln. Ich sah auf.
    Giran und sein Soldat Brad kamen genau auf uns zu. Sie hatten uns bereits entdeckt und das falsche Grinsen, das Girans Visage verzerrte, gefiel mir gar nicht.
    »Kein Wort«, flüsterte Neél, ohne die Lippen zu bewegen.
    Ich wusste sofort, dass er die Leiche und Graves meinte. Ob Giran irgendwie involviert war? War diese Begegnung vielleicht gar nicht so zufällig? Bei dem Gedanken, dass er etwas mit der Leiche zu tun haben könnte, richteten sich meine Nackenhaare auf.
    Neél drehte sich zur Seite, stützte die Hände auf die Oberschenkel und atmete in schweren Zügen. Eine Sekunde lang war ich perplex. War er krank? Dann begriff ich, was er tat. Er spielte Giran vor, er sei krank, um meinen Zustand zu vertuschen.
    »Neél!«, rief Giran und schlug ihm so fest gegen die Schulter, dass Neél ein wenig schwankte. »Lange nicht gesehen, mein Freund.«
    »Ja«, erwiderte Neél und hustete. »Aber selbst die besten Zeiten sind irgendwann vorbei.«
    »Unverschämtheiten sind wohl die letzten Freuden, die dir noch geblieben sind. Ich gönne sie dir. Habe gehört, du bist krank gewesen?« Giran warf mir einen Blick zu. »Hast du dir bei deinem Spielzeug etwas eingefangen?«
    Ich straffte den Rücken und verschränkte die Arme vor der Brust. Neél stand leicht gebeugt da und sah Giran von der Seite an. Immer noch gab er vor, kaum Luft zu bekommen.
    »Freu dich, Giran«, sagte er. »Hast du nicht immer behauptet, wir Optimierten würden irgendwann merken, woran wir sind. Da hast du’s - oder hast du dich je mit einer menschlichen Erkrankung der Bronchien angesteckt?«
    »Faszinierend. Aber so was hatte ich mir schon gedacht, du hast recht.« Giran beobachtete Neél wie ein ekliges Insekt und begann, ihm einen Vortrag über die Nachteile der in seinen Augen perversen Hybridenversuche zu halten.
    Brad wich meinen Blicken aus. In Girans Nähe erschien er mir viel kleiner als sonst.
    Neél war erstaunlich! Vermutlich war er nie krank gewesen, doch er spielte die abklingende Grippe annähernd perfekt. Er demonstrierte Kurzatmigkeit, zog hin und wieder die Nase hoch und wischte sich ständig über Stirn und Nacken, als würde er schwitzen. Indem er Erschöpfung vortäuschte, lieferte er eine Erklärung dafür ab, warum ich nach unserem vermeintlichen Training schwitzte und fast ebenso wenig Atem übrig hatte wie er.
    »Ehrlich, Neél«, sagte Giran übertrieben fürsorglich, »dein Spielzeug nimmt dich zu hart ran. Du solltest noch nicht wieder so hart trainieren, wenn es dir so schlecht geht.«
    »Ich gebe es nicht gerne zu«, antwortete Neél, »aber ich fürchte, du hast recht. Soldat, morgen laufen wir eine kleine Runde.«
    Ich nickte knapp. »Aye, aye, Sir.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Erheiterung in seinen Augen auf. »Na, dann komm. Ich könnte meinen Tee aus wilder Malve vertragen. Bis bald, Giran, wir sehen uns sicher schneller wieder, als mir lieb ist.«
    »Mit Honig?«, fragte ich, als wir nebeneinander davonmarschierten. »Trinkst du deinen Malventee zufällig mit Honig?« Ich musste so sehr an Amber denken, dass es überall wehtat.
    »Gib mir ein paar Tage Zeit«, bat er leise.
    • • •
    Ich saß auf meinem Bett, flocht mir das Haar, solange es vom Duschen noch feucht war, und versank in Erinnerungen. Früher hatten wir uns auf diese Art die Haare gewellt, um den Jungs zu gefallen. Wir hatten Kohle angespitzt und uns damit die Augen umrahmt. Ich fand, dass schwarze Farbe das helle Blau meiner Iris eisig aus-sehen ließ, aber ich hatte es trotzdem immer wieder gemacht, weil Matthial der Mund offen stand, wenn er mich so sah.
    Mein Haarband riss und ein Fluch entschlüpfte meinem Mund und wischte mein Lächeln fort.
    Ich war nicht mehr vollständig. Mir fehlte etwas, mir fehlte etwas ganz Entscheidendes.
    Ich sehnte mich nicht mehr nach meinem Zuhause. Geblieben waren mir nur noch die Erinnerungen, ohne jegliches Gefühl wie Heimweh oder Sehnsucht. Es fühlte sich an, als würde ich meine Clanfreunde verraten, die sich mit Sicherheit jeden Tag mehr um mich sorgten, während es mir zunehmend besser ging.
    Neél ging an mir vorbei zum Tisch und hob das Seil auf, das er mir nach unserem Kampf gelassen hatte. Ich sah nur seinen Rücken, das frischweiße, ärmellose Hemd, die hellbraune Haut,

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