Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
in das Mauerloch hinein und die zarte Stimme sagte gedämpft: »Hast du mich vergessen?«
    »Keinen Moment.«
    »Aber du bist nicht mehr hergekommen. Ich dachte ... ich dachte wir wären Freunde.«
    »Sind wir«, erwiderte Neél. »Ich werde es dir erklären. Kannst du zum Fenster kommen?«
    »Vergiss es.« Das Kind lachte leise, aus der Brust heraus. Ich erkannte sofort, bei wem es sich dieses Lachen abgeguckt hatte. »Ich kann was viel Besseres.«
    Für einen Moment war es ruhig. Ich sah Neél fragend an. Was sollte das hier? Dann hörten wir ein Schaben, irgendetwas kratzte an der anderen Mauerseite. Ein unterdrücktes »Hff!« erklang und kurz darauf tauchte ein von schmalen Schultern getragener, blank rasierter Kinderkopf über der Mauerkrone auf. Schlangenaugen blickten neugierig auf uns herab.
    »Erinnerst du dich, was du früher immer zu mir gesagt hast?«, fragte der Junge.
    Neél nickte anerkennend. »Klar. Ich habe zu dir gesagt, dass die Mauer dich nicht mehr lange aufhalten wird.«
    »Aber dass ich so schnell rüberkomme, hättest du nicht gedacht, was?«
    Sie lachten beide dieses rollende Lachen, tief und rau bei Neél, etwas bemüht noch bei dem Kind. Ich fühlte mich fehl am Platz. Der Kleine mochte nur ein Kind sein, aber uns einander nicht vorzustellen, war trotzdem unhöflich von Neél. Solange ich nicht fragte, schien er von sich aus nichts erklären zu wollen - wieder mal.
    Allerdings kam mir der Junge zuvor.
    »Mit was warst du so beschäftigt?«, wollte er wissen, setzte sich auf die Mauer und ließ die nackten Beine in abgerissenen Shorts herabbaumeln.
    Neél hob eine Hand, berührte die Außenseite seines verdreckten, kleinen Fußes und seufzte. »Mit vielem, was ich dir nicht sagen darf.«
    »Hast du viele Rebellenmenschen gejagt?« Ich hätte die Frage gerne als kindliche Arglosigkeit aufgefasst, aber diese kühlen Schlangenaugen waren dabei auf mich gerichtet. »Wir haben das heute wieder gespielt, Rebellenjagd. Ich hab meinen Rekord gebrochen.« Er leckte sich über die Lippen und behielt mich im Blick. »Ich hab schon alle Rekorde gebrochen.«
    »Is’ ja n Ding«, murmelte ich. Meine Stimme klang seltsam belegt, vielleicht, weil ich lange nichts gesagt hatte. Das Kind war mir unheimlich und nun vibrierte auch noch die Haut an seinen Armen. Es witterte mein Unbehagen.
    Neél. Was soll der Scheiß?
    »Vergiss es«, meinte der lapidar. »Joy zu beeindrucken, schaffst du nicht. Das gelingt nicht mal mir.«
    Der Kleine streckte einen Fuß kurz in meine Richtung. »Joy? So heißt es? Ist es dein Sklave?«
    Neél trat näher an den Jungen, sodass die kleinen Füße genau vor seinem Gesicht hingen. Er stützte seine Hände zu beiden Seiten der Kinderwaden gegen die Steine. »Nein, das ist sie nicht. Ich würde dir nicht raten, sie zu beleidigen. Ich habe das schon getan und es zutiefst bereut.« Er warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Sie ist ein Soldat.«
    »Ein guter?«
    »Der beste. Und außerdem ist sie meine Freundin.«
    Für einen Moment zuckte Erstaunen über das Gesicht des Jungen, doch er erkämpfte sich rasch wieder seinen kühlen Gleichmut. »Du bist komisch, Neél.«
    »Das versuche ich ihm auch permanent zu sagen«, meinte ich, um nicht noch länger ratlos danebenzustehen. »Er glaubt es mir aber nicht.«
    Das Gesicht des Jungen blieb reglos.
    »Es war mir wichtig, euch einander vorzustellen«, sagte Neél und sah mich bedrückend intensiv an. »Ihr könntet viel voneinander lernen. Edison, das ist Joy. Joy, Edison.«
    »Edison?«, wiederholte ich fragend und hielt dem Knilch die Hand hin, wofür ich mich auf die Zehenspitzen recken musste. Er wich ein kleines Stück zurück, vergewisserte sich mit einem Blick zu Neél, dass ich harmlos war, und reichte mir seine. Sein Händedruck war zögerlich und seine Finger waren warm und staubig.
    »Edison hat die Glühbirne erfunden«, ließ er mich wissen. »Das ist kein Geheimnis, das sollte jeder wissen.«
    Du irrst dich, kleiner Klugscheißer. »War das nicht Göbel?« Ich unterdrückte ein Grinsen und dachte dankbar an den alten Laurencio und all die unwichtigen Informationen aus der Zeit vor dem Krieg, die er uns eingebläut hatte. Er meinte immer, alles Wissen, das den Krieg überdauert hatte, sei es wert, erhalten und vermehrt zu werden. »Doch, ich bin sicher. Göbel stellte die ersten Glühbirnen her.«
    Edison blickte zwischen mir und Neél hin und her und da Neél bedauernd nickte (auch wenn ich sicher war, dass er keine

Weitere Kostenlose Bücher