dark canopy
Percent. Der Kopf war skurril verformt, was es mir leichter machte, den Toten als eine Art Beweisstück zu betrachten. Dass er gelebt, gelacht, gestritten, gegessen, gepinkelt, gehasst und geliebt hatte, ließ sich verdrängen, denn ich musste nicht in seine toten Augen gucken. An ihrer Stelle klafften Löcher, innen leuchtend rot und an den Rändern schwarz verkrustet. Die Stirn hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Treppe. Und die Nase war nicht mehr als eine verformte Knolle mit zwei zugeschwollenen Schlitzen.
»Die Schwellungen lassen vermuten, dass er noch gelebt hat, als sie ihn erschlagen haben«, sagte Neél mit düsterer Stimme.
Ich warf ihm einen entsetzten Blick zu. »Was?« Blöderweise vergaß ich vor Schreck, das Atmen zu unterlassen. Erst wurde mir schlecht, dann schwindelig. Ich schluckte an Spucke, die zum Kotzen schmeckte, und kämpfte gegen meinen rebellierenden Magen. Jetzt nur nicht an den Schweineschinken vom Frühstück denken!
»Denk mal an Schweineschinken«, erklärte Neél. Oh, manchmal hasste ich ihn so sehr! »Wenn das Schwein erst tot ist, schwillt nichts mehr an, auch wenn du mit dem stumpfesten Küchenmesser darauf losgehst. Er hier allerdings«, er deutete auf den Toten, »hat im Gesicht jede Menge Prellungen.«
Graves schlitzte das Hemd über dem Bauch der Leiche auf. »Nicht nur da.«
Ich presste mir eine nass geschwitzte Hand vor Mund und Nase. Der Brustkorb war zu einer undefinierbaren Masse zusammengeprügelt worden und überzogen von Flecken in allen Farbschattierungen von Blau bis Schwarz. Dazwischen schimmerten Verfärbungen in einem Braun durch, das nur wenig dunkler war als die Hautfarbe eines gesunden Percents.
»Die Verletzungen sind unterschiedlich alt.« Graves sprach aus, was ich nicht hören wollte.
Dieser arme Kerl war vor seinem Tod bestialisch gefoltert worden.
Ich musste mich abwenden und ein paar Schritte gehen. Mein Magen krampfte sich zusammen, aber ich war fest entschlossen, mich nicht zu übergeben. Wenn es hart auf hart kam, dann musste ich in einigen Wochen selbst Percents töten, um nicht zu enden wie dieser Tote. Ich war Soldat. Pingeliges Gehabe konnte ich mir nicht leisten. Entschlossen atmete ich noch einen Schwall frischer Luft ein und kehrte zurück.
»... und dann haben sie ihn hier getötet«, sagte Graves gerade zu Neél. Er wies auf zwei Einstiche im Unterbauch. »Sie haben ihn aus-bluten lassen, vermutlich lebte er noch ziemlich lange, das erklärt die Blutmenge.«
Ich sah genauer hin. Graves musste einen Fehler gemacht haben. »Er kann nicht hier gestorben sein.«
»Joy«, sagte Neél, »unter den Wunden tränkt literweise Blut die Erde.«
Vielleicht irrte ich mich? »Seit wann ist er tot?«
Graves hob mit seinen roten Gummihandschuhen einen Arm der Leiche an und ließ ihn wieder auf die Erde fallen. »Die Totenstarre hat nachgelassen. Das geht schneller, wenn es so warm ist, aber einen ganzen Tag dauert das trotzdem in jedem Fall.«
Das deckte sich mit meiner Beobachtung. »Dann kann er unmöglich hier gestorben sein.« Ich verschränkte die Arme, als beide mich kritisch musterten. »Schaut mal dahinten, an den Büschen.« Zwei Mutantratten, größer als kleine Hunde, huschten im Schatten der Ruinen und Sträucher auf und ab. Ich hatte ihre keckernden Schimpflaute schon gehört, als wir gekommen waren. Sie warteten darauf, dass wir endlich verschwanden. »Die Biester riechen das Blut.« Ich kniete mich erneut neben den Toten und beugte mich über seine Hand. Es war, wie ich vermutet hatte: Die Fingerkuppen waren bis auf den Knochen abgefressen. »Seht euch die Finger an. Sie haben schon probiert und beraten jetzt, ob es sich lohnt, den Rest zu holen.«
Ratlose Blicke schlugen mir entgegen.
»Wisst ihr, wie sie sich gegen eure Giftköder wehren? Sie schicken einen Vorkoster, der probiert, und dann beobachten sie ihn eine Weile, ehe sie sich über die restliche Beute hermachen.«
»Clever«, unterbrach mich Graves. »Erinnert mich an Widden, die Ratte.«
»Halt die Klappe, Graves.« Neél schoss ihm einen wütenden Blick zu, aber es war zu spät. Ich hatte den Namen verstanden und Neél wusste, dass er Fragen erwarten durfte. Sie bereiteten mir jetzt schon einen bitteren Geschmack im Mund. Fürs Erste schluckte ich sie runter und fuhr fort, das Verhalten der Mutantratten zu erklären.
»Ich habe das schon Dutzend Male beobachtet. Nie dauert es länger als ein paar Stunden. Wenn der Mann gestern hier getötet worden wäre,
Weitere Kostenlose Bücher