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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Vegetation und ihre Pflege ist schwierig. Der Staub in der Luft schadet ihnen und sie sind ohne Sonne schwer durchzubringen.«
    »Kenne ich.« Meine Stimme klang ungewollt kalt. »Aber lenk mich nicht ab. Ich wollte nichts von Bienchen und Blümchen hören, sondern von Widden. Ist er ... wie du?«
    »Optimiert?«, erwiderte er. »Nein.«
    »Du weißt, dass ich das nicht meine«, gab ich gereizt zurück. »Meine Freundin ist zu seiner Dienerin geworden. Ich will wissen, ob es ihr gut geht.«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du willst es mir nicht sagen.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich kann nichts versprechen. Nicht bei Widden.« Mein Blick musste ihn erschreckt haben. Er berührte meinen Oberarm. »Joy, sie ist nur vorläufig dort. Er hat seinen Anspruch noch nicht auf sie erhoben, das heißt, dass sie nur eine Dienerin ist.«
    Allgemeingut, schoss es mir durch den Kopf. Meine Knie wurden weich, aber meine Beine traten einfach weiter aus. Schritt für Schritt für Schritt.
    »Ich möchte sie gerne sehen«, flüsterte ich. »Meinst du, das geht? Kannst du das möglich machen, Neél?«
    »Willst du das wirklich?«
    Nein. Aber ... »Ich muss. Es ist doch meine Schuld.«
    Er widersprach mir nicht, er nickte bloß. »Ich versuche es, aber erwarte nicht viel.«
    »Ich will nur reden«, flüsterte ich.
    »Nur reden«, wiederholte er fest. »Ich schulde dir etwas. Du hast heute gute Arbeit geleistet, Joy. Danke.«
    »Machst du dich lustig über mich?« Ich zog meinen Arm weg. »Ich habe fast gekotzt!«
    Er lächelte, kratzte sich an der Wange. Beides sah unglücklich aus. »Ich auch. Aber ich wäre auf den Trick mit dem Blut reingefallen und hätte nicht an die Ratten gedacht.«
    Ein paar Schritte gingen wir schweigend. Das Tor kam in Sichtweite. Ich hatte noch eine Frage, die ich ihm stellen wollte, ehe wir wieder hinter den Mauern der Stadt gefangen und von tausend Augen beobachtet wurden.
    »Was habt ihr da eben am Grab gesagt? War es eine Art Totengruß?«
    Neél lächelte sanft. »Das war der Wahlspruch der ersten Percents, die sich damals gegen die Unterdrückung auflehnten und im Krieg das Soldatenamt niederlegten, um für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Mina hat es in einem alten, völlig zerfledderten Buch gefunden.«
    »Bücher sind gute Lügner«, sagte ich. »Vielleicht stammt der Spruch nur aus einer Geschichte.« Ein Teil von mir, tief in mir drin, verachtete mich für meinen Pessimismus.
    Neél sah mich eine Weile an. An seinen Lippen und der Stirn waren noch Spuren von der staubgrauen Erde, in der wir den Toten vergraben hatten. Auf seine ureigene Art sah er schön aus, nicht nur für einen Percent, sondern generell.
    »Und wenn schon. Wenn es eine Geschichte ist, dann ist es eine gute. In jedem Fall ist es ein gutes Motto. Er passt zu dem Zeichen, das wir machen, und gibt ihm eine neue Bedeutung.«
    Ich blieb skeptisch, aber Neugier gesellte sich dazu. »Wie lautet er?«
    Graves ließ sich zurückfallen und kam neben mich. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er zuhörte. Er sagte: »Mit dem Herzen und dem Verstand und allem, was wir sagen und tun«, und berührte dabei mit der rechten Faust Brust, Stirn, Lippen und die geöffnete linke Hand. »Für das Recht auf Freiheit.«
    Ich musste schlucken.
    »Kaum jemand kennt ihn heute noch«, sagte Neél. »Aber wir finden, dass sich das ändern sollte.«
    »Ich versuche wirklich, euch zu verstehen«, sagte ich, »ich versuche, beide Seiten zu verstehen, aber ...«
    ... aber es war schwer.
    Neél lächelte mich an. »Tu das nicht. Wenn du beide Seiten verstehst, kann es kein gutes Ende für dich geben.«
    Er hatte recht, denn wenn es endete, würde eine Seite zwangsläufig das Nachsehen haben. Ich fragte mich, ob es ein gutes Ende für ihn geben konnte.
    • • •
    Auf meinem Körper verklebte der Staub mit trocknendem Schweiß und juckte, als wir durch die Stadt zum Gefängnis gingen. Nachdem ich lange nicht trainiert, sondern nur untätig in meinem Zimmer gehockt hatte, war ich nach dem langen Marsch völlig erschöpft. Ich neidete den Percents den Vorteil, dass sie nicht schwitzten.
    Graves verabschiedete sich und ging seiner Wege. Selbst in seinem Wollpullover stand ihm nicht eine Schweißperle auf der Stirn. Wie machten sie das bloß, dass man ihnen nicht die geringste Anstrengung ansah? Mir klebte das Baumwollhemdchen unter meinem Leinenhemd wie eine zweite Haut am Oberkörper. Mein Atem ging schwer und meine Lippen fühlten

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