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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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die im Kerzenlicht immer einen goldenen Schimmer bekam, und das nachtschwarze Haar. Er trug es offen. Da er sich vorbeugte und die Strähnen wie ein Vorhang über seine Wangen fielen, konnte ich keinen Blick auf sein Gesicht erhaschen. Was machte er denn da?
    Ich hörte ein Ratschen, dann klapperte etwas auf dem Holz der Tischplatte. Er drehte sich um und hielt ein kurzes Stück von meinem Lederband in den Händen. Er hatte es abgeschnitten, nun flocht er es auseinander, sodass er drei dünne Lederschnüre erhielt, die sich wellten wie trockene Würmer. Er reichte mir eins. »Für dein Haar.«
    »Danke.« Er verwirrte mich. Das tat er immer häufiger, vor allem, wenn er mich so ansah. Ich wickelte das Lederbändchen um meinen Zopf, während Neél die beiden anderen Enden durch seine Hände gleiten ließ.
    »Wir müssen das nicht riskieren«, sagte er unvermittelt und ohne mich anzusehen.
    Er meinte das Chivvy; ich sah es an dem harten Zug um seinen Mund.
    »Es gibt eine Alternative, Joy.«
    »Die gibt es immer.« Ich konnte nur flüstern und während er auf seine Hände starrte, stierte ich auf meine nackten Füße. Wir beide hatten Furcht vor dem, was wir erkennen würden, wenn wir uns ansahen. »Aber was ist der Preis? Ich kann nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Das ist kein Leben für mich. Ich brauche Freiheit. Ich will meine eigenen Entscheidungen treffen. Ich muss ... den Himmel über mir sehen können. Aber in der Stadt gibt es nicht mal das kleinste Fleckchen Himmel. Ich kann nicht hierbleiben, Neél.«
    Ich blickte vorsichtig zu ihm auf. Sein Adamsapfel machte einen Hüpfer. »Und ich kann dich nicht gehen lassen.«
    »Aber ich werde gehen. Ich könnte dir vor dem Chivvy entkommen. Ich habe es einmal fast geschafft. Was, wenn ich es wieder versuche?«
    »Dann würden sie dich jagen und ein Exempel statuieren.«
    »Dazu«, ich sah ihn provokant an, »müssten sie mich erst mal finden.«
    Neél wickelte ein paar Stoffstreifen umeinander, sodass ein kleiner Ball entstand, den man in der Faust verstecken konnte. »Das würden sie. Die Triade lässt sich linken, aber nicht öffentlich beleidigen. Soldatenflucht wäre mehr als eine Beleidigung, in deinem Fall erst recht, denn jeder kennt deinen Namen. Die Stadt spricht über dich. Bitte, Joy, tu es nicht. Das Chivvy ist deine einzige Chance, wenn dir die Alternative so unerträglich scheint.«
    »Und du meinst, sie halten Wort?« Ich zweifelte daran, aber er nickte.
    »Ja. Du bist ein freier Städter, wenn du beim Chivvy entkommst.«
    »Und das Optimierungsprogramm?«
    Sein Kiefer verkrampfte sich. »Du traust uns nicht das kleinste bisschen Ehrgefühl zu, oder? Solltest du das Chivvy wirklich gewinnen, verdienst du unseren Respekt. Am Tag danach kannst du deine Marke abholen und ein unbehelligtes Leben führen.«
    Das, was er unbehelligt nannte, war nicht dasselbe, was ich mir darunter vorstellte. »Ich darf die Stadt danach nicht mehr verlassen.«
    Er zog die Fäden seiner Stoffkugel fest, warf sie prüfend in die Höhe und fing sie auf. »Das durftest du vorher auch nicht. Hat es dich abgehalten? Du wärst so frei wie jeder andere Städter.« Damit legte er mir den Ball in die steife Hand und schloss meine Finger darum. Er drückte sie sanft gegen den Stoff, um mir zu zeigen, wie ich ihre Kraft und Beweglichkeit damit trainieren konnte.
    »Danke«, flüsterte ich und dann, mit dem Wissen, dass er mich verstehen würde: »Aber was, wenn mir das nicht reicht?«
    Er lächelte müde. »Zieh dir was über.«
    »Was?«, rief ich, ließ den Ball auf die Matratze fallen und zog die Beine an den Körper. »Sag mir nicht, dass du jetzt noch trainieren willst!«
    »Will ich nicht.« Er warf mir mein Hemd zu. »Ich will nur das tun, was ich am besten kann. Das, wozu ich gemacht wurde.« Und ganz leise, sodass ich es kaum hören konnte, fügte er hinzu: »Ich will ein wenig kämpfen.«
    • • •
    Ich ahnte schnell, wohin wir gingen. Zum Hotel. Die Straßen dorthin waren hell erleuchtet, was dem Himmel über uns ein tiefes Schwarz verlieh, obwohl es sicher noch zwei Stunden vor Mitternacht war. Viele Percents kamen uns entgegen; junge, alte, in kleinen Gruppen oder allein. Einige grüßten Neél, andere raunten mir etwas Frivoles zu oder streckten ihre Finger nach mir aus, um sie wieder zurückzuziehen, wenn Neél die Zähne fletschte.
    Manche führten eine Frau am Arm. Nicht alle sahen glücklich aus. Aber erstaunlich viele.
    »Neél, komm mit uns ins Mondlicht

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