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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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«, rief einer, der dem Alkohol schon großzügig zugesprochen hatte. »Bring dein Mädchen mit, sie kann für uns tanzen.« Er wedelte mit einer Hand quer über die Straße. Ich folgte seinem Blick.
    Das Mondlicht war eine Bar, über deren Eingangstür ein gewaltiger silberblauer Vollmond hing, der von hinten beleuchtet wurde, was ihn in fast dasselbe fahle Licht tauchte, in dem auch der echte Mond einmal im Monat auf die Erde herabsah.
    »Heute nicht«, antwortete Neél mit einem schiefen Lächeln. »Ich habe schon was vor.« Und an mich gewandt, sagte er: »Wir sollten in jedem Fall mal in diese Bar gehen, Joy. Sie machen dort einen Gebrannten mit Honig, der so gut ist, dass schon mancher seinen Verstand darin ersäuft hat. Und zwar mit Freuden, Joy, mit großen Freuden.«
    »Stammen diese Informationen aus erster Hand?«, neckte ich ihn. »Dümpelt dein Verstand im Alkohol? Das würde einiges erklären.«
    Das Grinsen fror in seinen Augenwinkeln fest. »Beinahe.« Er flüsterte fast. »Man denkt, man würde die Unzufriedenheit ertränken, doch man verändert nur die Sicht darauf. Irgendwann wird man blind.« Er sah sich um, ob jemand in Hörweite war, und fuhr dann fort: »Aber ich bekam eine Aufgabe, die so schwer zu bewältigen war, dass mir keine Zeit mehr blieb, meine Nächte in Bars totzuschlagen.«
    Er meinte mich.
    Seine Ehrlichkeit machte mich sprachlos. Es erklärte vieles. Seine Grobheit, sein Verschwinden in den ersten Nächten. Ich hatte davon gehört, dass Alkohol Menschen verändern konnte, sodass sie irgendwann nicht mehr ohne ihn leben wollten; ihn brauchten wie Nahrung. Warum sollte das bei Percents anders sein? Ob es so schlimm gewesen war? Hatte er mich deshalb gehasst?
    Erst als Neél fragend eine Augenbraue anhob, bemerkte ich, dass ich ihn angestarrt hatte. Meine Ohren prickelten warm und ich sah zu Boden.
    »Hier entlang, Joy.« Kurz bevor wir das Hotel erreichten, führte Neél mich in eine schmale Gasse.
    Mit wenigen Schritten hatten wir die belebten Straßen verlassen und tauchten in eine gespenstische Stille. Nur die Echos unserer Schritte hallten vor uns her und die hohen Gebäude zu beiden Seiten hielten die Geräusche von außen ab. Zwischen den Mauern waren Leinen gespannt, auf denen graue Kleidungsstücke hingen, teils so tief, dass Neél sich ein wenig ducken musste, um sie nicht zu streifen.
    »Wo gehen wir hin?« Ich sprach leise, meine Stimme tönte dennoch unangenehm in der Stille. Das Bedürfnis, mich nach Augen umzusehen, deren Blicke mich verfolgten, wurde übermächtig. Da war niemand. Oder sah ich die Gesichter bloß nicht? Verbargen sie sich hinter den geschwärzten Fensterscheiben?
    »Ich möchte dir jemanden vorstellen«, raunte Neél und blieb stehen. Ein stilles Lachen rollte durch seine Brust. Er roch meine Nervosität und sie amüsierte ihn - so ein Mistkerl!
    »Sehr witzig!« Ich versetzte ihm einen Klaps gegen den Oberarm. Offenbar fand er, ihn verdient zu haben, denn er grinste nur noch breiter. Dann streckte er die Hand aus und legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.
    Zunächst hörte ich nur mein Herz poltern. Ich stand still und wagte nicht zu atmen. Nicht einmal blinzeln konnte ich. Neél senkte die Hand und hinterließ ein Brennen auf meinem Mund. Ich rieb die Lippen aneinander und glaubte, einen Hauch Honig zu schmecken.
    Verdammt seist du, Percent, dass du das mit mir machst!
    Eine helle Stimme lenkte mich ab. Ich konzentrierte mich auf die Worte. Jemand zählte. »Dreiunddreißig, vierunddreißig, fünfunddreißig ...« Eine Frau? Nein, ein Kind.
    Neél bedeutete mir weiterzugehen und ich folgte ihm bis zum Ende der Gasse. Dort befand sich eine Mauer, die uns jäh den Weg abschnitt. Auf den ersten Blick fiel mir auf, dass sie viel neuer war als die Gebäude drum herum, massiv gebaut und hoch. Wenn man genauer hinsah, erkannte man noch mehr. Die Mauer war zunächst auf Schulterhöhe errichtet, später dann aber höher gezogen worden. Der oberste Teil war neu, das Bauwerk heller. Da, wo die Mauer mit der Hauswand einen rechten Winkel bildete, hockte Neél sich auf den Boden, wackelte an einem Stein und zog ihn heraus. Er horchte konzentriert. Unvermittelt pfiff er durch die Zähne.
    Das Zählen verstummte.
    Dann waren jenseits der Mauer Schritte zu hören, schnelle, kleine Schritte, und kurz darauf eine helle Flüsterstimme. »Neél!«
    »Hallo, Zwerg.«
    »Ich hab geglaubt, du kommst gar nicht mehr her.«
    »Ich hatte ein wenig zu tun«, antwortete er

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