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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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dann hätten die Biester ihn längst in Stücke zerfetzt und weggetragen. Nein, wann immer er auch getötet wurde - hier liegt er erst wenige Stunden.«
    Neél schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken in die richtigen Bahnen schwenken. »Aber das Blut«, meinte er. »Er muss doch hier verblutet sein, aus einer Leiche wären nie solche Blutmengen geflossen.«
    »Vielleicht sieht es nach mehr aus, als es wirklich ist«, riet ich.
    Neél zog ein Messer - mein Messer - aus der Scheide, die an der Innenseite seiner Lederweste befestigt war, und hieb es dicht neben dem Toten in die blutgetränkte Erde. Der Boden war mehrere Zentimeter tief aufgeweicht. »Das ist höchstens mehr Blut, als in einen Lebenden passt, aber nicht weniger.«
    Graves betastete mit seinen Handschuhen das Kinn der Leiche und schob es nach unten. »Ach du Scheiße!«
    Mich schauderte, als er die Zunge des Toten aus dessen Mund nahm und Neél hinhielt.
    »Sauber herausgeschnitten«, murmelte Graves verhalten. Auch er atmete jetzt nicht mehr durch die Nase.
    Neél verspannte sich. Jeder Muskel und jede Sehne zeichneten sich an seinen Armen sowie an Hals und Kiefer ab. »Der soll uns etwas sagen.« Er flüsterte fast.
    Graves legte den Kopf schief. »Könnte schwierig werden, ihn zum Reden zu bringen.«
    »Nein, hör zu! Er ist eine Botschaft. An dich, oder wer geht sonst täglich diesen Weg? Nur du. Und vermutlich wissen die Präsidenten das ganz genau - dazu müssen sie bloß deine Passierscheine kontrollieren. Die Leiche wurde mit Absicht hier hingelegt, damit du sie findest. Denk nach, Graves: Bisher mussten wir alle Leichen suchen, diese wird dir regelrecht vor die Füße geworfen. Die Zunge bedeutet, dass du aufhören sollst, darüber zu sprechen. Dass du aufhören sollst, Fragen zu stellen. Du bist unvorsichtig geworden. Vielleicht wir alle.«
    Mir wurde trotz der heißen, trockenen Luft plötzlich eiskalt. »Das Blut könnten sie abgefangen und neben die Leiche gekippt haben, um zu vertuschen, wo dieser Percent getötet wurde. Und von wem.«
    »So«, bestätigte Neél, »sieht es aus, als hätten Rebellen ihn hier draußen getötet.«
    »Aber wer war es wirklich?«
    Graves schluckte. »Wer foltert einen Mann, wenn er ihn ohnehin tot sehen will? Und warum?«
    Die Antwort war so klar, dass sie niemand von uns aussprechen musste.
    Die Präsidenten.
    • • •
    Wir durchsuchten den Toten, fanden nichts und verscharrten ihn dann notdürftig in einer Mulde im trockenen Boden. Eine Schaufel zu holen, wäre zu auffällig, denn wir hätten sie an den Torwachen vorbeibekommen und ihnen ihren Zweck erklären müssen. Also schoben wir mit den bloßen Händen Steine und Sand über den Körper.
    Neél und Graves knieten sich an das Grab und machten das Zeichen für Respekt. Gemeinsam legten sie die letzten Steine auf den flachen Grabhügel und murmelten etwas, das ich nur in groben Bruchstücken verstand. Sie ehrten den Unbekannten, so viel war mir klar. Auch ich senkte den Kopf und suchte nach einem Gedanken, um ihn dem Fremden mitzugeben. All unsere Wünsche an die Toten hatten allerdings mit der Sonne zu tun und wären vermutlich eine Beleidigung für den Percent gewesen. Ich blieb ganz still.
    Die Mutantratten würden ihn ausgraben, das wusste ich, aber ich sagte nichts. Es machte keinen Unterschied, ob Ratten ihn fraßen oder Würmer. Er war tot und wir grübelten still über die Gründe.
    Trotz der zotigen Scherze, die Graves und Neél machten, fiel mir auf, dass keiner von ihnen lachte. Auch sie maskierten unter dunklem Humor, dass ihnen der grausige Fund naheging. Graves schien sich in seinem Pullover zu verkriechen, den er trotz der Hitze nicht einmal an den Ärmeln hochkrempelte. Neél war unter dem Dreck im Gesicht blasser als sonst. Als er etwas zurückblieb, trat ich an seine Seite.
    »Was willst du, Soldat?«, fragte er unerwartet schroff.
    Ich ließ mich nicht abschrecken. »Widden«, sagte ich fest. »Erzähl mir von ihm.«
    Er atmete laut aus. »Was gibt es da zu erzählen? Er hat das Chivvy vor zwei Jahren bestanden, zählte zum Mittelfeld. Darum kam er zu den höher gestellten Arbeitern. Er ist trotz des mäßigen Ergebnisses beim Chivvy schnell zu hohem Ansehen gekommen, weil er Aufseher über die Imker geworden ist. Das ist ein wichtiger Beruf.«
    »Ich wusste nicht, dass euch Honig so wichtig ist«, spottete ich. Waren die Percents etwa Naschkatzen?
    »Der Honig ist nicht entscheidend. Die Bienen sind wichtig für die

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