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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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nichts meine Welt und meine Welt war nichts. Aber die Worte scherten sich nicht um meinen Widerstand und verließen meinen Mund wie an einer Perlenkette, die man aus mir herauszog. »Es ist nichts, es ist nichts. Nichts, nichts ...«
    »Ich weiß.« Neél presste mich an sich. Er drückte mein Gesicht in sein Hemd, sodass es schwierig wurde, genug Luft zu holen, um zu sprechen. Also war ich still und sog seinen Geruch ein, der mir in den letzten Wochen so vertraut geworden war wie mein eigener. Ich spürte sein Herz rasend schlagen. Seine Schultern zitterten. In ihm war etwas gefangen, das hinausmusste. Ein Entschluss. Ich spürte es.
    Sag es mir. Wie du dich auch entscheidest, ich werde es akzeptieren. Nur sag es endlich.
    Er schwieg mich an. Ich befreite mich aus seinen Armen, trat einen Schritt zurück und zerrte befangen mein dünnes Hemd zurecht. Es bedeckte plötzlich viel zu wenig Haut, der Stoff war zu dünn und zu weiß und zu nass und meine Füße zu nackt, um zu fliehen, und meine Hände zu schwach zum Kämpfen ... Ich schlug mit der Faust gegen einen Baum, um die Gedanken zum Schweigen zu bringen. Als ich die Finger öffnete, lag die wilde Malve welk und zerdrückt in meiner Handfläche. Empfindliche Dinge gingen kaputt, wenn man mit ihnen umging, wie ich es tat. Eine Träne tropfte auf zerquetschte lilafarbene Blütenblätter. Ich hatte das nicht gewollt.
    »Weißt du«, rief ich, »dass die Alten sagen, am Blutsonnentag wäre die Sonne am Horizont ins Meer gefallen und hätte für eine Weile das ganze Wasser in Lava verwandelt?«
    »Glaube ich nicht.«
    »Natürlich nicht. Aber es sah so aus. Alles war purpurn und karmesinrot. Bordeaux und golden, orange, lavendel, fliederfarben, lila, violett. Alles zusammen. Sie sagen, früher hat man solche Wunder jeden Tag erlebt. Der Himmel soll so klar gewesen sein, als wäre er aus Glas. Ein Himmel aus Glas, kannst du dir das vorstellen? Man konnte endlos weit schauen. Man konnte sogar am Tag den Mond sehen, so weit reichte der Blick. Und heute?« Ich hob die Arme und streckte mich nach oben, als wollte ich den Wolkenhimmel packen, auf die Erde zerren und ihn zertrampeln. »Das Graue hängt so tief, dass ich es anfassen kann. Es zerdrückt mich. Ich kann nichts dafür. Am liebsten will ich jemand anders sein. Ich habe all das, was passiert ist, nicht gewollt - es zerdrückt mich!«
    Noch mehr Tränen. Die wilde Malve wurde ganz dunkel. Sie hatte keine Chance. Von dem Moment, als Neél sie für mich pflückte, war sie dem Untergang geweiht gewesen.
    »Joy? Ich tu es.«
    Ich sah auf. »Was?«
    »Das Mädchen. Ich werde tun, was du von mir verlangst.«
    Mein Herz wurde erst ganz leicht. Es flog wie ein Vogel. Und dann trudelte es in die Höhe, in der Dark Canopy keinen Raum zum Überleben ließ. Es erstickte in der Dunkelheit und fiel zu Boden, wo es zerschellen würde.
    Er hatte recht. Genau das wollte ich.
    Neél würde Amber retten. Nicht mich.
    • • •
    Ich war nackt.
    Das war ich Hunderte Male gewesen und ebenso oft hatte mich nur eine Trennwand aus milchigem Glas von Neél abgeschirmt. In den ersten Tagen hatte seine Silhouette mir Angst gemacht, später erkannte ich, dass er mich vor denen beschützte, bei denen diese Angst angebracht gewesen war. Heute zitterten meine Hände, wir waren wieder ganz am Anfang. Ich hörte es, wenn er sich räusperte, und ich sah es seinen Konturen hinter der Scheibe an, wenn er schluckte. Mein ganzer Körper reagierte sensibler als sonst, ich spürte sogar die winzigen Schmutzpartikel, die das Wasser von meiner Haut gewaschen hatte, unter den Fußsohlen wie Sand.
    Zwischen uns war der Nebel des Wassers und zwischen uns war alles klar.
    • • •
    »Du bist ganz sicher?«, hatte er gefragt, als wir zurückgeritten waren. »Sie bedeutet dir so viel, Joy?«
    »Es bedeutet die Welt für mich, wenn sie leidet.« Wegen mir und meiner Fehler.
    Wir passierten Brombeersträucher und aßen ein paar Beeren. Sie waren hart und süß-säuerlich, gerade erst reif, und doch glaubte ich, bereits zu riechen, wie sie an den Zweigen vergoren. Das Gegenteil eines Echos klang durch den Wald und sang vom Herbst, der plötzlich so erschreckend nah war.
    »Dann mache ich es.«
    Mein Puls schlug mir gegen die Kehle. »Wirklich? Wann?«
    »Ich gehe morgen zum Schriftführer und erhebe Anspruch auf Amber. Erwarte nicht zu viel, ich kann sie nicht zu dir bringen. Als Varlet darf ich nicht mit einer Frau im Gefängnis leben.«
    »Bin ich keine

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