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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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nicht ertrug, nichts zu tun. Und vielleicht ein bisschen aufgrund seiner Erfahrung, dass ihm die besten Ideen kamen, wenn es einen Moment zu spät für sie war.
    Zwischen den X, die die Kämpfer markierten, zeichnete er mit festen Schrägstrichen jene Waldstücke ein, die aufgrund der Unterholzdichte nicht passierbar waren. Schwach schraffierte er die Bereiche, durch die man langsam zu Fuß kam, aber nicht rennend oder zu Pferd. Matthial warf einen kurzen Blick zu dem Wallach hinüber, den sein Vater ihm überlassen hatte. Das zweite Pferd ritt Kendra. Nachdem sie die beiden Tiere getrennt hatten, war der Braune eine Weile nervös gewesen, doch nun stand er ruhig dort, wo Matthial ihn angebunden hatte, und wühlte mit seinen Lippen im Laub, auf der Suche nach dem einen oder anderen frischen Halm. Gedankenverloren zog Matthial die Flüsse als wellige Linien auf seine provisorische Karte. Schwungvolle Bögen, wo das Wasser tief war; kleine Kringel, wo man durchwaten konnte; zackige Kritzel, wo es gefährliche Stromschnellen und unter Wasser liegende Felsen gab.
    Und dann zuckte er zusammen. Er hatte etwas übersehen.
    Himmelgraue Scheiße, wie hatte er das übersehen können!
    Mars war an einer Stelle in der Nähe des Flusses positioniert, an der dieser sich perfekt zum Überqueren eignete. Das Flussbett war in dieser Gegend gespickt mit scharfkantigen Steinbrocken und das Wasser besaß eine solche Kraft, dass es selbst gute Schwimmer leicht gegen die Felsen schlug. Doch nach der langen, sommerlichen Trockenheit in diesem Jahr hatte der Fluss an Tempo eingebüßt und es gab eine Stelle, an der man ihn ohne großes Risiko überqueren konnte. Diese Stelle musste man kennen. (Und Matthial bezweifelte, dass dreckige Percents sich mit Wasser auskannten.) Wenige Meter weiter erhöhte sich das Risiko bereits dramatisch. Sollte Mars fliehen müssen - ob mit oder ohne Joy -, so wäre das Wissen um den ungefährlichen Flussabschnitt seine Lebensversicherung. Er hätte es seinem Vater sagen müssen! In der Hektik, die durch das Umplanen entstanden war, hatte er schlicht vergessen, den niedrigeren Wasserstand und das veränderte Verhalten des Flusses zu berechnen. Ein unverzeihlicher Fehler.
    Matthial schätzte ab, ob er Mars die Information noch zukommen lassen konnte. Wie viel Zeit mochte ihm bleiben? Eine Stunde? Zwei? Eine halbe? Die Fanfaren hatten die Jagd noch nicht angeblasen. Wenn er sich beeilte ...
    Die Entscheidung war noch nicht bewusst getroffen, da löste er schon die Zügel vom Ast und saß auf. Im Galopp ritt er zu seinem Vater. Nur keine Zeit verlieren. Das Pferd schnaubte vor Empörung. Ein paar Zweige schlugen Tier und Reiter ins Gesicht, aber für Empfindlichkeiten war heute nicht der Tag.
    Als er sich Mars’ Posten näherte, streifte Matthials Blick etwas, das er nicht gleich erfasste. Er zügelte den Braunen in einer engen Wendung und sah zu Boden. Aus dem Augenwinkel hatte er dort etwas gesehen. Etwas, das seinen Instinkt ansprach. Etwas, das von Gefahr flüsterte. Und dann entdeckte er es. Es war ein zentimetertief in den Boden getretener Halbkreis - ein Abdruck beschlagener Pferdehufe. Frisch. Ob Kendra in der Nähe war? Nein, unmöglich. Das zweite Pferd, das Kendra heute ritt, war nicht beschlagen. Auch der Gedanke, dass es eine Spur seines eigenen Pferdes sein könnte, erwies sich als haltlos. Der Wallach hinterließ viel schmalere, kleinere Abdrücke. Dieser hier stammte von einem Kaltblut mit fast tellergroßen Hufen. Konnte noch jemand aus Mars’ Clan ihm gefolgt sein? Unmöglich. Mars hatte gesagt, dass er nur diese beiden Pferde besaß. Jamies Clan verfügte über gar keine größeren Tiere, sie verließen sich auf das Klettern und das Verschmelzen mit der Natur, wobei ein Pferd nur hinderlich wäre. Es musste ein Percent-Pferd sein. Ritten sie den Wald ab, ehe das Chivvy begann?
    Der Abdruck sah beunruhigend frisch aus. Sein Vater war ganz in der Nähe, aber offenbar nicht nur er. Matthial ließ sein eigenes Pferd zurück. Ohne das Tier konnte er sich leiser bewegen, sich anschleichen und, wenn es erforderlich war, einen gezielten Schuss aus sicherer Deckung abgeben. Er lief geduckt und verfluchte die Trockenheit in den letzten Tagen. Das Laub raschelte weit hörbar unter seinen Füßen. Es trug diesen ganz besonderen Duft mit sich, den Geruch von vergehender Wärme, der Matthial seit vielen Jahren in jedem Herbst aufs Neue schwermütig machte, da ein weiterer Sommer vergangen war, ohne dass

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