Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
die Sonne gesiegt hatte. Dieses Jahr roch alles etwas anders. Vielleicht nahm er es aber auch nur anders wahr, weil er wollte, dass dieser Sommer starb. Er bestand ohnehin bloß aus Einsamkeit, Druck und zu großer Verantwortung. Und etwas Endgültigem, das er nicht benennen konnte.
    Sollte er verrecken, der Sommer!
    Er blieb stehen, als er ein Geräusch vernahm. Schloss die Augen, um besser zu hören. Ja, da waren Stimmen, zu weit weg, um sie zu erkennen. Sie sagten ihm nicht mehr als Bachbettgemurmel. Er schlich näher, blieb im Schutz von Sträuchern und Baumstämmen. Mit dem Daumen rieb er über das blanke Holz seines Bogens. Er konzentrierte sich auf das Rascheln der Befiederung seiner Pfeile im Köcher. Machte sich seiner Waffe bewusst, was Angst nahm, aber nicht den Leichtsinn weckte, sondern Vorsicht schürte.
    Und dann entdeckte er sie. Zwei Gestalten, die eine kräftig, mit aschgrauem Haar und Bart, dem man noch ansah, dass es einmal die Farbe von Sand gehabt hatte. Mars stand mit dem Gesicht zu ihm, aber Matthial wusste, dass sein Vater schlechte Augen hatte. Die andere Gestalt, schlank und hochgewachsen, wandte ihm den Rücken zu. Ein Percent, vielleicht der Typ, der Joy gefangen hielt. Sie sahen doch alle gleich aus mit ihren straff zurückgekämmten Haaren und den ledernen Westen. Das Pferd, ein milchweißes Halbblut von beeindruckender Größe, stand in der Nähe.
    Der erste Impuls war gewesen, seinen Vater zu beschützen. Der Pfeil lag schon auf der Sehne, als Matthial merkte, dass Mars seiner Rettung nicht bedurfte. Mars floh nicht. Er kämpfte nicht. Stattdessen lächelte er.
    Matthial wagte sich ein paar weitere Schritte heran. Verdammt, er konnte noch immer nicht hören, was sie redeten! Ihre Stimmen waren leise wie Gemurmel. Mars wandte sich ein Stück ab und wies in einer weit ausholenden Geste in eine Richtung. Sein ausgestreckter Finger war wie ein Faustschlag in Matthials Gesicht, denn er wusste, wohin dieser Finger deutete.
    Mars verriet dem Percent Joys geplanten Fluchtweg.
    Und dann, in einer einzigen, schrecklichen Sekunde, die sich ins schier Endlose strecken wollte, begriff Matthial.
    Jamies Worte über notwendigen Handel mit den Percents. Mars’ gute Verfassung trotz des angeblich zersplitterten Clans. Seine heimlichen Treffen mit Kendra. Das beschlagene Pferd - das Percent-Pferd. Die verschwundenen Clanmitglieder. Mars’ plötzliches Auftauchen.
    Wie hatte er das alles nicht sehen können!
    Matthial wusste nicht, welchen Preis Mars dafür kassierte, aber in diesem Moment begriff er, womit sein Vater handelte: mit Seelen.
    Er verkaufte und verriet Menschen. Rebellen. Clanmitglieder, die ihm nahestanden wie Blutsverwandte.
    Matthial musste sich an einem Baum abstützen, als ihm das ganze Ausmaß bewusst wurde. Wie lange tat sein Vater das schon? Hatte Joy an dem Tag, als Amber gefangen genommen wurde, nicht davon gesprochen, dass sie beim Schneider das Gefühl gehabt hatte, in eine Falle geraten zu sein? Hatte Mars sich vor Ambers misslungener Befreiung nicht genau erkundigt, an welchen Orten seine Söhne eingesetzt werden würden? Hatte er nicht verhindert, dass ihre Schwester Janett sich ihnen anschloss? Schienen die Percents ihnen nicht aufgelauert zu haben?
    Seit wann belog sein Vater ihn?
    Matthial hörte sich aufkeuchen. Zusammenreißen!, befahl er sich.
    Er sah, wie der Percent Mars’ Geste folgte und seinen Comm vom Gürtel nahm. Wie gedankenlose Reflexe waren Matthials nächste Bewegungen. Anlegen, spannen, zielen.
    Der Perc darf seine Information nicht weitergeben.
    Schuss.
    Der Pfeil sauste durch die Luft und durchschlug das Genick des Percents mit einem Geräusch, als zerbräche ein trockener Ast. Kein Schrei. Matthial atmete aus. Nichts war schlimmer als die Schreie Sterbender. Der Percent starb still. Er stürzte einfach nach vorne, stieß gegen Mars - der im nächsten Augenblick eine Pistole in die Luft hielt und ziellos damit herumfuchtelte - und klatschte dann zu Boden. Matthial rannte.
    »Was hast du getan?«, schallte seine Stimme durch den Wald. Sollten ihn doch alle hören! Seine Welt brach in Stücke - und eine Welt sollte nie lautlos in Stücke brechen, sondern mit Krawall und Geschrei.
    Matthial lief, er hörte sich brüllen, in seinem Kopf und zugleich ganz weit weg. Er packte Mars an den Schultern, schüttelte ihn, schleuderte ihn herum. »Was! Hast du! Getan?«
    Mars stolperte rückwärts über die Beine des Percents, der sich noch in krampfartigen

Weitere Kostenlose Bücher