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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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den empfindlichsten Stellen meines Körpers.
    »Wir sehen uns wieder«, sagte ich - es machte nun keinen Unterschied mehr, ob ich log oder nicht. Die Lüge ermöglichte uns eine letzte, kurze, beinahe unbeschwerte Nacht. Morgen würde sowieso alles vorbei sein.
    »Im Mondlicht, ja.«
    Und wir waren uns so nah und ich so nah davor, ihm zu versprechen, bei ihm zu bleiben, für immer, wenn es das überhaupt gibt, aber ich tat es nicht.
    Ich liebe ihn. So sehr.
    Und sagte ihm ohne Worte, dass ich gehen musste.
    • • •
    Am nächsten Morgen war von Neéls ausuferndem Alkoholkonsum kaum noch etwas zu spüren. Er roch nur noch danach und seine Augen waren gerötet. Neben der Narbe, die Cloud verursacht hatte, überzog ein geschwollener Kratzer seine Wange. Wenn er unsicher war, fuhr er sich immer mit den Fingernägeln über diese Stelle; es schien, als wäre er an diesem Morgen nervöser als jemals zuvor. Der Striemen sah aus wie eine rot nachgezogene Tränenspur.
    »Du siehst einschüchternd aus«, sagte ich. Einschüchternd schön.
    Er trug bereits die Uniform für das Chivvy. Braune Stiefel. Eine sandfarbene Hose und einen Ledergürtel, an dem verschiedene Messer in mit Fett polierten Scheiden hingen, und seinen Comm. Darüber eine eng am Körper anliegende, ärmellose Weste aus dunkelrot gefärbtem Wildleder. Ich wusste, dass sie über dem Herzen und am Rücken mit ins Leder eingenähtem Metall verstärkt war. Ich hatte die Schwachstellen dieser Schutzweste mit ihm gemeinsam studiert. Fingerfreie Handschuhe aus braunem Leder schützten seine Hände und Unterarme bis fast zum Ellbogen.
    Ich berührte die glänzenden Schnallen, dann seine Oberarme. Das Stück Brust, das die Weste frei ließ. Seinen Hals. Beide Wangen und schließlich sein Haar. Den schwarzen Zopf hatte er so fest zurückgekämmt, dass die Haut an seinen Schläfen spannte. Das darunterliegende Haar war raspelkurz, was die Narbe an seinem Hinterkopf betonte. Percents heilten schneller, aber manche Wunden scherten sich nicht darum, wer oder was man war. Mir machte diese Narbe Sorgen. Neél hatte selbst gesagt, dass man Gegnern nie eine Schwäche zeigen durfte, weil es sie stärker machte. Diesen Wulst, der zwischen schwarzen Haarstoppeln aufragte wie ein rot glänzendes Gebirge, konnte niemand übersehen. Versehentlich löste ich eine Haarsträhne aus seinem strengen Zopf. Ich wollte es richten; die Ordnungsvorschriften zu beachten, war an diesem bedeutungsschweren Tag bestimmt noch wichtiger als sonst, aber er hielt meine Hand fest.
    »Lass es so.«
    »Bist du sicher?« Ich erinnerte mich, was er mir über Zeichen gesagt hatte, aber ich erinnerte mich auch, wie schnell die Percents sich beleidigt fühlten.
    »Ja. Bist du dir denn sicher?«, fragte er.
    »Du bist unfair.« Aber das wusste er selbst. Ich war mir sicher.
    Neél massierte meine rechte Hand. Die Finger wurden beweglicher, wenn er das tat. Ich ging noch einmal meine Ausrüstung in Gedanken durch. Neél würde sich einen Bogen oder eine Armbrust abholen, bevor wir das Gefängnis verließen. Ich hatte nicht mehr als das, was ich am Körper trug: Ein Messer - mein Messer - steckte in einer Scheide am Gürtel. Das andere klemmte in einer provisorischen Halterung unter meinem Hosenbein. Mein Seil hatte ich mir ums Handgelenk gewickelt und in der Hosentasche trug ich ein paar gesammelte Armbrustbolzen, die sich zwar schlecht werfen, aber gut als Stichwaffe verwenden ließen. Ich überprüfte den Sitz meines Kopftuchs, ich wollte es keinesfalls verlieren. Es schützte meine Haare, wenn ich durchs Unterholz kriechen musste, vor allem aber roch es nach Neél - ich hatte es aus einem seiner Hemden genäht.
    »Erinnerst du dich an den hohlen Baum in der Nähe des Kanals? Da, wo wir einmal den wilden Hundewelpen beim Spielen zugesehen haben? Graves hat in dem Baum einen Bogen für dich versteckt.«
    »Graves«, flüsterte ich, als könnte er mich hören, »danke.«
    »Und unter dem Brombeergebüsch, da, wo die Malven wachsen, liegt eine Armbrust. Und nur für den Fall ...«
    Statt seiner warmen Finger spürte ich plötzlich etwas eisig Kaltes in der Handfläche. Die Pistole war anthrazitfarben wie seine Augen. Es war eine gute Waffe, wie nur wenige Percents sie besaßen. Sie ließ sich mit einem ganzen Magazin Patronen laden. Neél steckte mir ein Päckchen zu. Munition. Es wog schwer in meiner Hosentasche.
    »Versteck sie«, flüsterte Neél. »Nutze sie nur, wenn es nicht anders geht.«
    »Ist sie

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