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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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zog sich ein kleines Stück von mir zurück, als müsse er den Deal überdenken. Das war klug von ihm. Mich zu vögeln, war es beileibe nicht wert, dafür sein Leben zu riskieren. Aber wer braucht schon einen unentschlossenen Kämpfer? Unentschlossenheit bedeutet Schwäche. Ich leckte ihm über den Mund, schob meine Zunge dann tief zwischen seine Lippen. Damit waren wir uns einig.
    • • •
    Es gibt Dinge, über die man im Clan nur mit seinen besten Freunden redet. Sex ist so eine Sache. Jeder weiß, wer es mit wem treibt -es ist meist auch schwer zu übersehen. Trotzdem redet man nicht darüber, ebenso wenig wie man sich übers Atmen unterhält, und darüber, wie oft man aufs Klo geht und mit welchem Resultat.
    Diesmal war es anders. Mein bester Freund ließ mich wissen, dass er kein Wort hören wollte. Er zeigte es mir mit einem eindeutigen Blick, der so dicht an mir vorbei ins Leere ging, als wäre ich nicht anwesend.
    Dafür redeten die anderen. Meine Haut war noch warm von den Decken in Willies penibel reinlichem Bett, als ich schon das Gemurmel verstummen hörte, sobald ich einen Raum betrat. Die Blicke waren kalt, besonders die der anderen Mädchen. Einige davon hätten Willie selbst gern für sich gehabt. Ein paar anderen gefiel Matthial, den ich gerade unsagbar gekränkt hatte. Dass er mich ebenso kränkte, weil er mich nicht davon abhielt, die Besonderheit zwischen uns beiden zu verkaufen, interessierte niemanden außer mir. Vielleicht tat ich ihm damit unrecht. Ich hatte das Vertrauen in mein Rechts- und Unrechtsbewusstsein längst verloren, wenn ich überhaupt je über eins verfügt hatte.
    So verbrachte ich den restlichen Vormittag damit, mich verletzt zu fühlen und infrage zu stellen, ob Grund dazu bestand.
    Einig wurde ich mir nicht.
    Ich mühte mich ab, gewissen Menschen aus dem Weg zu gehen. Dazu zählte vor allem Mars, aber auch meiner Schwester wollte ich nicht in die Augen sehen. Penny erwischte mich trotzdem. Sie zog mich an einen Küchentisch, ließ ein paar schwarze Rüben auf die Tischplatte purzeln und rammte ein kleines Messer ins Holz. Dann setzte sie sich neben mich und schlug einen zerfledderten Liebesroman auf, den sie sicher schon auswendig kannte. Es war unser einziger - viele Bücher gab es nicht mehr - und mir fiel ein, dass sie mir schon Hunderte Male gesagt hatte, ich solle ihn lesen, solange er noch lesbar sei. Ich hatte immer geantwortet: »Mach ich die Tage.«
    Ich griff seufzend nach dem Messer, begann Rüben zu schälen und auf meine Predigt zu warten.
    Erstaunlicherweise machte sie mir keinen Vorwurf. Stattdessen schwieg sie lange, blätterte geräuschvoll, schwieg weiter und sagte schließlich: »Du weißt, dass du nicht immer alle retten kannst, oder?«
    Ich schnaubte spöttisch und hackte einer Rübe gewaltsam den Strunk ab. Wann hatte ich je jemanden gerettet?
    »Dad hat das damals gesagt«, erklärte Penny, ohne von ihrem Buch aufzusehen. »Er hat dich im Arm gehalten, ich weiß noch genau, wie schrumpelig, verquollen und hässlich du kurz nach deiner Geburt ausgesehen hast. Wie ein Greis, dürr, blau und faltig. Damals wusste ich noch nicht, dass Babys immer so aussehen. Ich dachte, du wärst eine Missgeburt, und bekam Albträume von deinem Anblick. Aber Dad sagte nur: »Dieses kleine Mädchen wird uns noch alle retten.«
    Um nicht heulen zu müssen, lachte ich. »Dad musste es ja wissen.«
    Dad war fort. Nicht tot, das wäre immerhin eine Entschuldigung gewesen. Er war zurückgegangen. Hatte aufgegeben. Versagt. Doch in gewisser Weise hatte er recht behalten. Ich wurde am Blutsonnentag geboren, dem denkwürdigen Tag, an dem Dark Canopy den Himmel nicht verdunkelte. Es hieß, dass die Menschen zunächst misstrauisch gewesen wären, doch als die Sonne gegen Mittag hoch und golden am Himmel stand, wagten sich die ersten Mutigen nach draußen. Sie glaubten, die Maschine sei zerstört, und plötzlich loderte überall Hoffnung auf - bis zum Himmel. Viele feierten auf den Straßen. Andere schlossen sich zusammen, um in den Kampf gegen die Percents zu ziehen und sie ein für alle Mal zu vertreiben. Das Sonnenlicht gab ihnen Kraft und die Wärme ließ sie glauben, dass sie alles erreichen könnten.
    Meine Familie gehörte zu den wenigen Menschen, die nicht auf der Straße gewesen waren, denn ich hatte beschlossen, zur Welt zu kommen. Sechs Wochen zu früh, wenn meine Mutter richtig gerechnet hatte. Vollkommen unerwartet hatten die Wehen eingesetzt. Nur darum waren meine

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