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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sie nicht widersprochen.
    Ich grub die Finger in Laub und Erde, tastete verzweifelt nach etwas, das ich als Waffe nutzen konnte. Da war nichts. Nur tote Blätter. Der Percent starrte auf mich herab. Den Kopf schief gelegt, verzog er einen Mundwinkel zu einem höhnischen Grinsen. Wir wussten beide, dass ich verloren war. Teile meines Körpers fielen vor Angst in Ohnmacht, allen voran meine Blase. Ich machte mir in die Hose und schämte mich. Ich schämte mich vor einem Percent - beim Licht der Sonne noch mal! Vor Wut entfuhr mir ein Schluchzen.
    Doch plötzlich vibrierte der Comm an seinem Gürtel. Ich wusste nicht, warum, aber der Percent warf gehetzte Blicke in alle Richtungen, atmete dann auf, drehte sich um und verschwand mit einigen hastigen Sprüngen im Wald. Mein Messer nahm er mit, ebenso meinen Stolz. Den Rest von meinem Leben - und das war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel - ließ er auf dem vollgepinkelten Waldboden zurück.
    • • •
    Zu meiner eigenen Verwunderung lief ich nicht nach Hause. Statt-dessen schlich ich mich tiefer in den Wald, wenn auch in die entgegengesetzte Richtung wie der Percent. Ich war unbewaffnet und meine Nase lief. Es war mir gleich. Sollten sie doch kommen, die clanfreien Vagabunden, die wilden Hunde und die Mutantratten! Ich summte kaum hörbar ein Lied, das Matthial manchmal pfiff, und war froh, dass er nicht in der Nähe war und mich so sah.
    Was war ich nur für eine Kriegerin. Wie erbärmlich meine erste Schlacht verlaufen war! Die Chance zu glänzen war verpufft. Ich hatte versagt.
    Beim Bach zog ich Stiefel, Strümpfe und die Jacke aus und ging mit der Hose ins Wasser, um sie zu säubern. Sie auszuziehen, wagte ich nicht. Ich wusch das Blut ab und kühlte meinen Kiefer. Danach zwang ich mich heim und sammelte auf dem Weg ein paar Pilze, um meine Hände zu beschäftigen. Bei jedem, den ich aufhob, sagte ich in Gedanken auf, was ich über diesen Pilz wusste. Wie er hieß, wie er zubereitet wurde, wer aus unserem Clan ihn am liebsten aß.
    Der Hexenröhrling schmeckte am besten mit Schmalz und Kräutern gebraten, eignete sich aber nicht für Kinder und Alte, da er schwer verträglich war.
    Ich lebte noch. Ohne Messer.
    Steinpilze, eine Leibspeise meiner besten Freundin Amber. Ließen sich wunderbar trocknen, wenn sie nicht vorher aufgegessen wurden.
    Ich hätte einen Varlet töten können und habe es nicht getan.
    Ein Parasolpilz von der Größe eines Suppentellers. Mit altem Brot paniert und gebacken würde er zwei oder drei Leute satt machen.
    Der Varlet hatte mich laufen lassen.
    Ich musste mich ablenken, aber es funktionierte nicht.
    Zu wenige Pilze. Zu viele Meter zwischen ihnen. Zu oft der Gedanke, dass der Percent mein Messer hatte. Und damit meinen Namen, meinen richtigen Namen.
    • • •
    Hinter den Hagebuttensträuchern tauchte die Coca-Cola-Werbetafel, die die Front der alten Fabrik bedeckte, vor mir aus dem Halbdunkel auf. Sie machte unser Hauptquartier zum buntesten Gebäude weit und breit. Die Farbe war abgeblättert, aber wenn man bedachte, dass schon seit mehr als dreißig Jahren nichts mehr daran gemacht worden war, sah das Haus immer noch schön aus. Ein bisschen Rot, ein bisschen Weiß, und sogar der Schriftzug ließ sich noch erkennen.
    Die anderen Clans nannten es selbstgefällig, dass wir uns in diesem farbenfrohen Gebäude versteckten. Aber es bot Platz für alle und wenn die Percents außerhalb der Stadt ihre Razzien durchführten, waren es meist die unauffälligen, ärmlichen Hütten, die sie auseinandernahmen. Oft durchsuchten sie auch die Kanalisation und die alten U-Bahn-Schächte, wo sich einst viele Rebellen versteckt gehalten hatten. Aber am Hauptquartier des Coca-Cola-Clans gingen sie immer vorbei.
    Unauffällig sah ich mich um, doch die Straße war wie leer gefegt und ich gelangte ungesehen zur Rückseite des Gebäudes, schlich am geschlossenen Rolltor vorbei, kletterte über die schwankende Feuerleiter nach oben und schlüpfte durch ein Fenster im ersten Stock.
    Sofort bemerkte ich unter etlichen weniger angenehmen Gerüchen den Duft von Rübensuppe und jubelte innerlich auf. Es war immer etwas Besonderes, wenn unser Clanführer Mars den Generator für den Herd einschaltete und wir für kurze Zeit Strom hatten. Seine Kinder Matthial, Josh und Janett besaßen eine Playstation, ein Spielgerät, das einst Mars’ Vater gehört hatte, und meist erlaubte er ihnen, sie anzuschließen und ein wenig zu spielen, solange gekocht wurde. Niemand

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