dark canopy
hatten, weil ich so gut mit dem Messer umgehen konnte. Nun war ich nur noch ein Mädchen und Mars bemerkte das sofort und verhöhnte mich.
»Er hat schie. Isch wollte werfen, aber ...«
Die Strafe folgte auf dem Fuße. Mars schlug mir unvermittelt mit der flachen Hand auf die unversehrte Wange, wobei er meine Schulter nicht losließ, sodass ich aufrecht stehen bleiben musste. Meine Zähne schlugen zusammen und der Schmerz auf der anderen Seite flammte mit voller Wucht wieder auf. Flecken erschienen und verschwanden vor meinen Augen. Pennys spitzer Schrei durchdrang das Dröhnen in meinen Ohren. Ich schluckte, blinzelte und tat mein Möglichstes, nicht zu heulen.
»Du bist tapfer«, sagte Mars, nachdem er mich eine schier endlose Zeit gemustert hatte.
Ich nickte. Auch als der Percent mich schlug, hatte ich nicht geweint.
»Es ist gut, dass du entkommen bist. Die Backpfeife war allein für den Namen im Messer, Joy Annlin Rissel.« Damit drehte er sich weg und ging zurück zu seinem Platz und alle anderen taten es ihm nach, als wäre nichts gewesen. Selbst Penny wandte sich ab, denn sie wusste, dass sie mir nun keine Hilfe war.
Verdattert blieb ich zurück. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Mars meinen Vornamen wusste. Aber er kannte meinen ganzen Namen!
Mars ältester Sohn, Matthial, trat an meine Seite. Das war okay, da Matthial ungefähr in meinem Alter und ebenfalls ein junger Krieger war. Es war erlaubt und gern gesehen, dass wir uns gegenseitig unterstützten, selbst wenn es den Älteren bereits untersagt war, sich um uns zu kümmern. Sobald wir keine Kinder mehr sein wollten, wurden wir auch nicht mehr als solche behandelt.
Matthial legte seinen Arm um meine Schultern, nahm von Baby eine Schale Suppe an und führte mich zu einem leeren Tisch. Dort schob er mich auf ein Sofa, setzte sich zu mir und wies seinen Schäferhund Rick an, sich an meine andere Seite zu legen. Ich streichelte das warme Fell und wischte schnell ein paar Tränen ab, die nun doch kamen. Niemand sah hin, nur Rick leckte mir das Salz von den Händen.
Es war ungewöhnlich für Matthial, dass er kein Wort sagte. Und er sah mich auch nicht an. Stattdessen starrte er voller Verachtung über die Tische hinweg zu seinem Vater. Sein Verhalten wunderte mich, denn Matthial selbst wurde weit härter bestraft, wenn er Fehler machte. Er beschwerte sich nie darüber. Eigentlich hatte ich verfluchtes Glück gehabt. Eine Ohrfeige war eine milde Strafe, wenn man bedachte, dass meine Dummheit den Clan und vielleicht die ganze Rebellion in Gefahr gebracht hatte. Die Percents wussten natürlich, dass wir Waffen besaßen, auch wenn das streng verboten war. Ich konnte mir jedoch vorstellen, wie viele Messer sie nun bei uns vermuteten, wenn selbst junge Mädchen damit herumliefen. Vermutlich durchsuchten sie nun die Stadt nach der Familie mit meinem Namen. Da kamen sie zu spät. Ein schwacher Trost.
• • •
In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf. Ich lag in meinem Bett unter dem Fenster, sah stundenlang in den klaren Nachthimmel und lauschte Pennys Schnarchen. Mein Gesicht stank bestialisch nach ihrer Beinwellessenz, mein Kiefer pochte und meine Wange brannte.
Wo sollte ich ein neues Messer herbekommen?
• • •
Am frühen Morgen weckte mich der entfernte Klang der Glocken, der aus Lautsprechern kam, seit es keine Kirchen mehr gab. Solange ich denken konnte, läuteten sie nur zweimal im Jahr.
Einmal im Frühjahr, am Tag der Eroberung, gegen Mittag, sobald der Himmel dunkel war. Dann mussten alle Städter auf den Straßen Spalier stehen und das Zeichen machen, das für Respekt stand, während die Percents zwischen ihnen hindurchschritten, auf Pferden ritten oder in Wagen fuhren, die Menschen zogen. Manchmal sah man sogar noch ein Automobil, aber dafür musste man erst einmal den Mumm haben aufzublicken.
Das zweite Mal erklangen die Glocken im Herbst. Am Blutsonnentag, meinem Geburtstag, in den Morgenstunden. An diesem Tag musste niemand Spalier stehen, die Demütigung der Erinnerung reichte auch so. Dieser Tag war heute.
Die Glockenklänge waren allerdings nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, oh nein. Sie ließen auch jedermann wissen, dass am Mittag das Chivvy stattfinden würde, eine Hetzjagd auf Menschen. Ein Ritual, mit dem die Varlets in die Welt der Krieger aufgenommen wurden und die Percents zugleich den Städtern demonstrierten, wie weit sie ihnen überlegen waren. Es sollte den Menschen eine Lehre sein, nachdem sie sich am
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