Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Liebster!», kam es aus der Küche. «Essen ist in zehn Minuten fertig. Es gibt heute dein Lieblingsgericht.»
«Shuha», nickte Sheldon und sog den würzigen Duft mit einem zufriedenen Lächeln in sich auf. In diesem Moment kam seine Tochter Sihana die Wendeltreppe heruntergestürmt.
«Hallo Papa!», rief die Siebenjährige. Sie trug ein buntes Röckchen, und ihre drei blonden Pferdeschwänze tanzten bei jeder Stufe lustig auf und nieder. «Guck mal, was ich in der Schule gemalt hab!» Das Mädchen streckte seinem Vater stolz eine Zeichnung entgegen. Es zeigte eine Frau, die auf einem Scheiterhaufen stand und lichterloh brannte.
«Das hast du sehr schön gezeichnet, mein Spatz», sagte ihr Vater anerkennend und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Das ist die letzte Hexe», erklärte Sihana. «Sie ist sehr, sehr böse.»
«Oh ja, das sieht man», nickte Sheldon und tippte auf einen gelben Flecken, der schräg über dem Scheiterhaufen in der Luft hing und von dem viele gerade Striche in alle Richtungen weggingen. «Und das hier? Ist das die Sonne?»
Das Mädchen nickte eifrig. «Unsere Lehrerin sagte, wenn die letzte Hexe verbrannt ist, wird die Sonne wieder über Dark City scheinen. Ist das wahr?»
«Ja, das ist es allerdings», bestätigte Sheldon, gab seiner Tochter die Zeichnung zurück und murmelte, mehr zu sich selbst als zu dem Kind: «Dreiundzwanzig Jahre Dämmerung sind wahrlich genug. Es wird Zeit, dass dieser Nebel endlich aus unserem Land verschwindet»
«Papa», sagte Sihana und sah plötzlich ganz ernst aus.
«Ja, mein Spatz?»
«Wann wird das sein?»
«Wann wird was sein?»
«Wann kommt das Licht zurück?»
Der Vater ging in die Knie und hielt das Mädchen sanft an den Armen fest. «Bald», sagte er. «Sehr bald.» Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Die Legende sagte, dass die Hexen mit ihrer Zauberei den Zorn Gottes heraufbeschworen hatten. Deswegen hatte Gott einen brennenden Felsen ins Meer stürzen lassen, der die gesamte Insel außerhalb der Mauern in einer Welle aus Feuer und brodelnder Gischt zerstört hatte. Eine ganze Gesellschaft mitsamt ihren fortschrittlichen technischen Errungenschaften war in einem einzigen grauenvollen Moment ausgelöscht worden. Zurück blieben nur die Inselbewohner, die innerhalb der Mauer lebten.
Doch als wenige Stunden später der Nebel kam, wurden auch sie jeglicher Hoffnung beraubt. Viele Hexen waren seither verbrannt worden, um den Fluch der Dunkelheit zu brechen. Niemand wusste, wie viele noch übrig waren und wo sie sich versteckt hielten. Die letzte Hexenverbrennung lag bereits über ein Jahr zurück, und seither hatte man keine mehr gefasst. Einige sagten, die Hexen hätten sich in die Berge zurückgezogen, damit niemand sie mehr finden könne. Andere behaupteten außerdem, sie wären dabei, an einem geheimen Ort neue Hexen und Hexer auszubilden.
Es hieß, sie wollten Drakar den Ersten vom Thron stürzen und die Regierung an sich reißen. Ja, es wurde viel gemunkelt über die Hexen. Alle hofften, dass ihr Geschlecht endlich ein für alle Mal von der Insel ausgerottet würde. Aber bis es so weit war, konnten noch Jahre vergehen, vielleicht sogar Jahrzehnte. Und so lange würde die Finsternis weiter über Shaíria herrschen, und das Gebiet innerhalb der großen Mauer würde weiterhin den Namen tragen, den man ihm seit der großen Nebelkatastrophe gegeben hatte: Dark City.
«Und wenn wir nicht alle Hexen finden?», fragte Sihana.
Sheldon strich der Siebenjährigen lächelnd übers Gesicht. «Wir werden sie schon aufstöbern. Da mach dir mal keine Sorgen. Und jetzt sag deinem Bruder, er soll den Tisch decken, ja?»
Das Mädchen nickte und rannte die Treppe hoch, während es in voller Lautstärke den Namen seines Bruders rief. «Elkor! Tisch decken!»
Sheldon löste sich die Krawatte vom Hals, legte sie über einen Stuhl und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Dann ging er in die Küche, um seine Frau zu begrüßen. Der gebratene Shuha lag verlockend knusprig auf einer mit Kräutern verzierten Platte und wartete nur darauf, gegessen zu werden. Sheldon ging zum Herd, umarmte Mona liebevoll von hinten und roch an ihrem langen schwarzen Haar. Es war nass und duftete herrlich nach Mandelblüten. Sie hatte geduscht, bevor er nach Hause gekommen war. Seine Frau drehte sich lächelnd um und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
«Wie war dein Tag?»
«Anstrengend», antwortete Sheldon. «Chef zu sein ist nicht immer leicht. Ich musste schon wieder
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