Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
1
Nayatis Bellen weckte die Jugendlichen auf. Sie lagen irgendwo mitten auf einer Straße, und der widerliche Gestank nach Abwasserkanälen und Kadavern ließ ihnen die Galle hochkommen. Der Nebel und die trostlose Dämmerung räumten auch die letzten Zweifel aus: Sie waren zurück in Dark City.
«Wo sind wir?», fragte Ephrion, während er sich auf seine Ellbogen stützte und sich mühsam aufrappelte.
«Irgendwo im Stadtzentrum», schätzte Joash.
Ein betrunkener alter Mann mit einer Flasche Alkohol stand am Straßenrand. Er sah sie entsetzt und verwirrt an und rieb sich die Augen. Dann warf er seine Flasche weg und rannte davon.
«Was war das?», erkundigte sich Aliyah.
«Offenbar hat unsere Ankunft einen Betrunkenen zu Tode erschreckt», meinte Miro. Er erinnerte sich daran, was Master Kwando am Tag ihrer Ankunft gesagt hatte. Solange ihr hier seid, wird es hier sein, und wenn ihr gegangen seid, wird es nicht mehr sein.
Es stimmte. Es war alles weg, die Schönheit, die Blumen, die Düfte, die Weite, die Klarheit der Luft. Es war alles weg, genau wie der Master es gesagt hatte. Sie waren zurück zu Hause, zurück in der Dunkelheit und in der bedrückenden Stimmung von Dark City.
Nayati bellte laut und stellte seine Nackenhaare auf.
«Was ist los, Nayati? Was hast du?», fragte Aliyah und versuchte ihren Wolf zu beruhigen. Doch sein ganzer Körper war angespannt und sein Fell gesträubt, während er knurrend die Straße hinaufblickte.
«Bei Shaíria», schrie Ephrion. «Es ist Katara!»
Die Jugendlichen wirbelten herum. Und da wurden sie ihrer gewahr. Sie saß auf dem Rücken eines rotbraunen Pferdes und war in Begleitung von mindestens fünf berittenen Soldaten, einem Kommandanten und ihrem Vater. Der vorderste Soldat hatte das Banner von Dark City an einer langen Stange in seine Hüfte gestemmt, alle andern waren mit Lanzen und Schwertern bewaffnet.
Ephrion deutete mit dem Finger auf Katara, und Katara deutete mit ihrem Finger zurück.
Das unverkennbare metallische Kratzen der Schwerter, die aus den Scheiden gezogen wurden, ließ die Jugendlichen erstarren. Katara war keine hundert Fuß von ihnen entfernt, und es war offensichtlich, dass sie nicht gekommen war, um sie zu beschützen.
Sie war gekommen, um sie zu töten.
«Sie sind es!», rief Goran, Kataras Vater, während er seinem Pferd die Stiefel in die Flanken stieß. «Schnappt sie euch!»
Die Truppe setzte sich in Bewegung. Sämtliche Lanzen- und Schwertspitzen waren auf die vier Gefährten mit ihrem Wolf gerichtet. Das Klappern der Hufe auf den Pflastersteinen hallte durch die ausgestorbene Gasse, während die Soldaten Drakars ihnen durch den Nebel entgegenritten. Weglaufen hätte nichts gebracht. Zu nahe war der Feind. Es gab kein Entkommen. Die Jugendlichen waren wie gelähmt und konnten sich nicht von der Stelle rühren.
«Wir sind erledigt», murmelte Miro, kreideweiß im Gesicht. Ephrion zitterte am ganzen Leib, Joash ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Muskeln strafften sich. Aliyah grub ihre zarten Hände in Nayatis Fell, während der Wolf die Zähne fletschte, bereit, dem erstbesten Soldaten an die Kehle zu springen.
Dicht aneinandergedrängt standen die Teenager da, und sie alle wussten, dass sie keine Chance hatten. Ihr Todesurteil war bereits gefällt. In einer Woche würden sie im Stadion als Hexen und Hexer verbrannt werden. Es war alles umsonst gewesen. Wenn sie tatsächlich dazu auserwählt waren, die uralte Prophezeiung zu erfüllen, und wenn sie tatsächlich dazu berufen waren, das Licht nach Dark City zurückzubringen, so war ihre Mission kläglich gescheitert. Es war vorbei.
Näher und näher kamen Drakars Soldaten, allen voran Goran, der erste schwarze Ritter, dicht gefolgt vom Kommandanten und von Katara. Schon konnten sie ihr Gesicht erkennen. Es war irgendwie anders, härter und von einer wilden Entschlossenheit gezeichnet. Katara hatte sich verändert. Ihr Gesichtsausdruck war so kalt wie der Nebel, der sie umgab. Kaum zu glauben, dass sie einst zu ihnen gehört hatte. Sie trug enganliegende dunkle Hosen, ein gelbes, ärmelloses Oberteil mit Reißverschluss und abstehendem Kragen, einen breiten Ledergürtel mit großer Schnalle und Wildlederstiefel. Zwei silberne Armspangen schmückten ihre für ein Mädchen sehr kräftigen Oberarme. Ein Zöpfchen aus Glasperlen war in ihr pechschwarzes, schulterlanges Haar geflochten.
Der Abstand zwischen der Truppe und den Jugendlichen verringerte sich sekundenschnell. Die
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