Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
haben leider keinen Platz für dich.»
Ephrion ließ seine Tüte fallen und rannte aus der Cafeteria hinaus. Er rannte, so schnell er konnte, das Hohngelächter der Schüler hinter sich zurücklassend, und machte erst wieder in der Toilette der Jungs Halt. Rasch verriegelte er die Tür hinter sich, damit niemand hineinkommen konnte. Keuchend griff er in seine Hosentasche und fischte eine Tüte mit Kandiszuckerklumpen heraus. Das war die einzige Süßigkeit, die sie sich regelmäßig leisten konnten, da Zuckerrohr in Mengen angebaut wurde. Er riss die Verpackung auf und stopfte sich alle Klumpen auf einmal in den Mund. Dann stellte er sich vor den Spiegel, und mit vollem Mund rief er sich zu:
«Ich hasse dich! Du bist so aufgebläht wie eine Tonne! Du bist fett und hässlich! Ich hasse dich!»
Er hatte davon gehört, was die wohlhabenden schlanken Mädchen taten, wenn sie noch dünner sein wollten, als sie es eh schon waren: Wie sie sich ihren Finger in den Hals steckten, damit sie sich übergeben mussten … Ja, er wollte auch schlank sein. Er wollte, dass die Leute ihn bei seinem richtigen Namen nannten. Er wollte endlich nicht mehr das Gespött der ganzen Schule sein. Er wollte Freunde haben …
Kurz entschlossen spuckte er den Zucker aus, nahm seinen wurstigen Finger und steckte ihn sich in den Hals. Er würgte und hustete, doch nichts geschah. Er wiederholte das Ganze nochmals. Diesmal versuchte er, den Finger noch tiefer in seinen Hals zu stecken. Er würgte so stark, dass sein Gesicht rot anlief. Doch es nutzte nichts. Verzweifelt nahm er seinen Finger aus dem Mund und betrachtete sich im Spiegel. Seine Augen waren rot und gefüllt mit Tränen, und seine Kehle schmerzte. Voller Verachtung schaute er auf seinen Bauch hinunter.
Ich bin eine Volltonne, dachte er. Er begann seinen Bauch mit beiden Fäusten zu bearbeiten. Er boxte sich in den Magen, so stark er nur konnte, immer und immer wieder. Er spuckte und weinte vor Bedrückung.
«Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!!!», weinte er, während er immer weiter auf seinen Bauch einschlug, bis ihm irgendwann alles aus seinem Magen hochkam und er sich doch übergeben musste. Er hörte auf, sich selbst zu peinigen, und starrte in den Spiegel. Erbrochenes lief daran herunter. Seine Hände und Kleider waren feucht.
Das ist es, was ich bin, dachte Ephrion, ein Ekel erregender, feuchter, übel riechender Fettklumpen.
Er wusch sich die Hände und das Gesicht und spülte sich den Mund aus. Kurz darauf hörte er, wie jemand gegen die Tür polterte.
«Hey, Tonne, bist du da drin? Ich muss ganz dringend mal. Hallo, Tonne?»
Ephrion sah an sich hinunter und dachte über den Namen nach, den sie ihm hier in der Schule gegeben hatten. Tonne, so massig wie eine riesige Tonne.
«Tonnenmann, bist du da drin?»
Er ging zur Tür und schob den Riegel zurück. «Ja, ich bin hier drin», murmelte er tonlos.
Die Vision begann sich zu drehen und zu verformen, bis Miro sich wieder in den eigenen vier Wänden seines Spiegelraumes befand. Er lag zusammengekrümmt wie ein Wurm auf dem Boden. Blut war aus seiner Nase getropft. Die Kopfschmerzen waren verschwunden, doch Miro verspürte heftiges Bauchweh. Nachdem die Vision verschwunden war, richtete er sich auf und schaute sich stirnrunzelnd im Spiegel an. Er sah noch immer aus wie Ephrion. Er legte sich die Hände auf den Bauch. Dann fühlte er seinen Hals. Jede Schluckbewegung schmerzte, und seine Augen waren rotgeweint.
«Es tut mir leid, Dicker», sagte Miro zu seinem Spiegelbild, «ich wusste nicht, dass es so hart für dich ist. Warum versuchst du nicht einfach, weniger zu essen?»
Er hörte die hämischen Stimmen aus der Cafeteria in seinem Kopf. «Tonne! … Tonne! … Tonnenmann!», riefen sie im Chor und lachten und spotteten. Miro schüttelte verständnislos und wehmütig den Kopf.
«Warum musst du nur so viel essen, Dicker?», fragte er, während er Ephrions korpulenten Körper im Spiegel betrachtete. Obwohl er ihn noch immer Dicker nannte, hatte er gerade begonnen, ihn wirklich zu mögen. Eine ganze Weile stand er gedankenversunken da, bis ihm klar wurde, dass er noch immer in Ephrions Haut steckte, was ihm je länger je unangenehmer wurde. Er wollte raus. Er hatte genug von Ephrions Leid empfunden.
«Ich will meinen Körper zurück», murmelte er und drehte seinen Kopf jäh zur Tür. «Ich will meinen Körper zurück!», schrie er, so laut er konnte.
Fast im selben Moment öffnete sich die Tür. Ein
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