Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
würdest aufhören!»
Sie hatte den Ärmel ihres Hemdes hochgekrempelt, ein Tuch um ihren Oberarm gebunden, und in ihrem ausgestreckten Arm steckte eine aufgezogene Spritze mit einer bläulichen Flüssigkeit.
«Du hast es mir versprochen!», schrie er seine Mutter an, während er mitten im Raum stehen blieb und gegen die Tränen ankämpfte.
Sie sah müde zu ihm hoch und dann wieder zurück auf ihren Arm, während sie damit fortfuhr, sich die blaue Flüssigkeit in die Vene zu spritzen. Joash lief zu ihr hin und kniete schell neben ihr nieder.
«Hör auf damit, bitte! Ich brauche dich doch. Gib mir die Spritze, bitte, Mama!»
Er streckte ihr seine Hand hin, doch sie ignorierte ihn und presste weiter.
«Papa ist in diesem Sumpf ums Leben gekommen. Ich werde nicht zulassen, dass du auch noch stirbst. Mama!»
Sie spritzte sich die gesamte Flüssigkeit in den Arm. Dann, mit einer langsamen, zittrigen Bewegung, reichte sie Joash die leere Spritze. Er war verzweifelt und wütend.
«Mama, wie viel hast du genommen? Warum hast du das getan? Mama?!»
Tränen rollten über sein Gesicht, während seine Mutter ihn traurig anschaute und ihr Körper langsam zu Boden glitt. Sie griff nach seinem Arm, und Joash konnte förmlich spüren, wie es zu Ende ging. Sie war so schwach, dass ihr sogar das Sprechen schwerfiel. «Jojo», flüsterte sie, «du musst gehen, mein Junge … Sie kommen … sie kommen …»
Aliyah wusste plötzlich: Joash war es gewohnt zu flüchten. So lange er sich erinnern konnte, war seine Familie immer auf der Flucht gewesen. Alle zwei Jahre waren sie umgezogen und hatten sogar ihre Namen gewechselt. Er hatte schon so oft seinen Namen gewechselt, dass außer seinen Eltern und ihm selbst niemand mehr so genau wusste, wie er wirklich hieß. Seit vielen Jahren hatte niemand mehr seinen wahren Namen ausgesprochen, nicht einmal er selbst.
Seine Eltern hatten ihm nie verraten, warum sie sich ständig verstecken mussten. Zuerst dachte Joash, es wäre wegen seines Vaters. Sein Vater verkaufte Drogen und war im illegalen Lichthandel tätig. Aber nachdem er bei einer der Transaktionen getötet worden war, hatten sie die Koffer gepackt und waren wieder an einem neuen Ort untergetaucht. Und so ging das Jahr für Jahr. Immer wenn Joash begann, Freunde zu finden und Wurzeln zu schlagen, mussten sie wieder fort, und er musste wieder eine neue Identität annehmen und sich an einen neuen Namen gewöhnen. Er hatte seine Mutter schon tausendmal nach dem Grund ihres Verhaltens gefragt. Doch sie sagte nur, es wäre zu seinem Schutz.
«Okay, Mama», sagte Joash und versuchte, tapfer zu bleiben, «ich geh und pack unsere Sachen, und dann brechen wir auf.»
Seine Mutter wirkte von Sekunde zu Sekunde müder. Sie war so schwach, dass sie nicht einmal mehr die Kraft hatte, Joashs Arm festzuhalten. Die Droge wirkte schnell.
«Jojo», hauchte die Mutter, «ich gehe nicht mit … du musst alleine gehen.» Ihre Atemzüge wurden von Mal zu Mal schwächer.
«Nein, Mama! Hör auf damit! Wir gehen zusammen!»
Er sprang auf, riss einen Schrank auf und begann wahllos ein paar Kleider seiner Mutter in eine Tasche zu packen.
«Mama, ich hol deine Haarbürste.»
«Jojo, sie werden bald hier sein … Lass alles hier und lauf weg. Du musst fort, mein Junge …» Ihre Stimme war so dünn, dass Joash innerlich spürte, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Er wollte nicht wahrhaben, was wirklich passierte. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein.
«Nein, Mama, steh auf. Wir müssen gehen … Wo ist deine Bürste?»
«Komm her», sagte sie und winkte ihren Jungen unter größter Kraftanstrengung zu sich. Joash setzte sich neben seine Mutter auf den Boden.
«Nimm meine Hand, Jojo.»
Er nahm ihre Hand. Sie war schlaff und kalt. Joashs Kinn bebte. Er weinte wie ein kleines Kind. Seine Mutter sah ihn mit flackerndem Blick an. «Wenn sie mich finden … dann werden sie aufhören zu suchen. Du wirst in Sicherheit sein …»
«Wenn sie dich finden? Bitte Mama, wir müssen gehen. Steh auf, bitte.»
«Jojo …» Mit diesen Worten fiel seine Mutter in seinen Schoß und schloss die Augen. Ein sanfter Atemhauch entströmte ihren Lippen. Joash wusste, was das bedeutete, doch er weigerte sich zu glauben, dass dies das Ende war. Er packte seine Mutter und riss sie hoch. Er versuchte, sie auf ihre Beine zu stellen, doch die trugen sie nicht mehr. Sie konnte nicht mitgehen. Nie mehr.
«Wo ist deine Bürste, Mama? Wir müssen gehen … Mama
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