Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
dabei. Verschlafen rieb er sich die Augen, gähnte laut und räkelte sich. Seine Gedanken wanderten bereits zu dem reich gedeckten Frühstückstisch, der ihn erwarten würde, und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Er setzte sich auf, dehnte sich, fuhr sich durch sein verstrubbeltes Haar, ließ seinen verschlafenen Blick über die Spiegelwände gleiten, und dann konnte er nur noch eines tun: schreien.
«Ahhhhhhhhhhhhhh!»
Er guckte in den Spiegel unter seinen Füßen, in die Spiegel an den vier Wänden, in den Spiegel an der Decke. Und in allen Spiegeln sah er exakt dasselbe. Und die Person im Spiegel tat genau dasselbe, was er tat, zu genau derselben Zeit, wie er es tat.
Bin das … ich?, dachte er verstört. Langsam hob er seine Hand und winkte. Die Person im Spiegel winkte zurück. Er streckte die Zunge heraus, die Person tat es ebenfalls. Er schnitt eine Grimasse, dieselbe Grimasse kam zu ihm zurück.
«Ich bin es wirklich!», murmelte er, während er sich auf die Person im Spiegel zubewegte, die ihn genauso verdattert anstarrte wie er sie.
«Das ist nicht cool!», sagte Ephrion, ohne die Person aus den Augen zu lassen. «Das ist nicht cool!», rief er erneut – zu wem auch immer. Sein Hungergefühl war wie weggeblasen. Sein Körper war mit etwas ganz anderem ausgefüllt … mit Miro!
Aliyah betrachtete ihren Körper, ohne zu verstehen, wie das hatte passieren können, und dann begann sie auf einmal laut zu lachen.
«Ich kann sehen!», rief sie glücklich. «Ich kann sehen!»
Sie eilte zum Fenster und sah hinaus. Es war ein wunderschöner Morgen. Aliyah sog die Aussicht mit jeder Faser ihres Seins in sich hinein. Sie konnte sich nicht sattsehen an der Landschaft. Die Farben waren so intensiv, dass sie sie beinahe schmecken konnte. Sie wollte nach draußen in die Wiese laufen und einen Blumenstrauß pflücken. Sie versuchte erneut, das Fenster zu öffnen, doch es ging nicht.
«Ich kann sehen», murmelte sie erneut. Nichts hatte sie sich sehnlicher gewünscht, als eines Tages wieder sehen zu können. Jetzt war ihr Traum in Erfüllung gegangen. Sie konnte sehen. Aber warum musste es ausgerechnet durch Joashs Augen sein? Und wenn sie in seinem Körper steckte, was war dann mit ihrem eigenen geschehen?
Plötzlich spürte sie einen rasenden Schmerz in ihrem Kopf, als würde jemand gleichzeitig mehrere Messer in ihr Hirn stoßen. Sie massierte ihre Schläfen, presste die Hände gegen ihren Kopf und versuchte, den stechenden Schmerz loszuwerden. Doch es wurde immer schlimmer. Aliyah krümmte sich auf dem Boden zusammen und wimmerte vor Pein. Ihre Nase begann zu bluten.
«Was passiert mit mir?», flüsterte sie verzweifelt. Alles um sie herum begann sich seltsam zu verformen, zu biegen, zu dehnen, sich ineinander zu verschlingen. Die gesamte Umgebung begann zu zittern und zu flimmern und sich wellenförmig nach außen zu bewegen, als wäre sie flüssig geworden und jemand hätte einen Stein in sie hineingeworfen. Das Pulsieren wurde stärker, alles begann sich zu drehen, schneller und immer schneller. Aliyah wurde es schwindlig. Mit angewinkelten Beinen und Armen lag sie auf dem Boden, während sie in einen Strudel gerissen wurde, der ihr die Luft abschnürte.
Es wurde ihr so übel, dass sie glaubte, sich gleich übergeben zu müssen. Sie presste ihre Hände gegen den Bauch, ihr Atem ging unregelmäßig, ihr Herz flatterte. Alles drehte sich um sie herum, als würde sie im Zentrum einer gewaltigen Schleudermaschine liegen.
Und dann plötzlich … wurde die Vision wieder klar. Die Spiegel waren weg. Stattdessen befand sie sich in einer schäbigen Kammer. Haufen von schmutzigen Kleidern türmten sich in einer Ecke, Schmeißfliegen kreisten um einen Berg von Geschirr, das in der Spüle lag und einen furchtbaren Gestank im Raum verbreitete. Die wenigen Möbel in dem Zimmer waren so alt, dass man hätte meinen können, sie würden jeden Moment zu Staub zerfallen.
Im vorderen Teil des Hauses waren polternde Geräusche zu hören. Mehrere Leute unterhielten sich mit aufgebrachten Stimmen, dann schlug die Haustür zu.
Aliyah drehte sich um. Und da sah sie ihn. Es war Joash. Er war um einige Jahre jünger geworden und mochte um die dreizehn, vierzehn Jahre alt sein. Er starrte voller Entsetzen und Angst in eine Ecke, wo eine ausgemergelte junge Frau kauerte. Trotz schwarzer Augenringe und blassem Gesicht war zu erkennen, dass sie einmal eine wunderschöne Frau gewesen sein musste.
«Mama, du hast versprochen, du
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