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Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)

Titel: Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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auf, wo Ihr Aliyah für eine spezielle Schulung hinbringen könnt. Hier wird sie lernen, als blinde Person ihren Alltag zu bestreiten. Die Ausbildung ist nicht teuer. Sie sollte wenn möglich über die Zeitspanne von einem Jahr dreimal wöchentlich hingehen.»
    Der Doktor gab Onkel Fingal das Papier, das dieser jedoch achtlos einsteckte.
    «Ich werde weder Zeit noch Geld in diese kleine Hexe investieren. Schreibt mir besser die Adresse eines Waisenhauses auf. Da werde ich sie jetzt nämlich hinbringen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.»
    «Waisenhäuser nehmen nur Kinder auf, die keine Familie mehr haben», gab Doktor Shalomar zu bedenken.
    Onkel Fingal fluchte vor sich hin, packte Aliyah grob am Arm, riss sie vom Stuhl hoch und schleppte sie aus Shalomars Haus. Bevor er die Tür hinter sich zuschlug, rief er dem Doktor über die Schulter hinweg zu:
    «Sie hat ja keine!»
    Doktor Shalomar warf einen Blick auf den Stuhl, auf dem Aliyah gesessen hatte, und sah, dass sie ihr Stofftierchen zurückgelassen hatte. Es war ein weißer Hund. Er hob das weiche Tier hoch, starrte es eine Weile kopfschüttelnd an und seufzte in tiefem Mitgefühl für Aliyah.
    «Ich nehme dann das Stofftier als Bezahlung …»
    Er machte auf einem Regal ein Plätzchen frei und gab dem weißen Hund ein neues Zuhause.
    Unterdessen zerrte Onkel Fingal Aliyah am Arm durch die Straßen. Sie weinte leise vor sich hin. Er schämte sich für sie, und es machte ihn wütend, dass er sich jetzt um das Mädchen kümmern musste wie um ein hilfloses Kleinkind. Er blieb in der Mitte der Straße stehen, riss sie herum und fauchte sie an:
    «Du bist neun Jahre alt, fast schon eine Frau. Als ich in deinem Alter war, hab ich hart gearbeitet und nicht geflennt wie ein Baby.»
    Dicke Tränen rannen Aliyah über ihr zartes Gesichtchen, obwohl sie keinen Laut von sich gab.
    «Du kannst weinen, aber nicht sehen. Was für ein Witz», spottete er. Er sah sich um und entdeckte eine Rute auf dem Boden, mit der man normalerweise Pferde antrieb.
    «Bleib hier stehen», sagte er zu Aliyah. Er ging ein paar Schritte, hob die Rute vom Boden auf und brachte sie dann zu Aliyah zurück.
    «Hier. Nimm diesen Stab, um den Weg nach Hause zu finden. Es ist nur noch ein guter Steinwurf nach links.»
    Er zog sich zurück und ließ sie in der Mitte der Straße mit dem Stock in der Hand stehen. Dies würde der längste Gang ihres Lebens werden. Sie begann ihre Schritte zu zählen, während sie sich unsicher vorwärts tastete. Doch bereits beim dritten Schritt stolperte sie und schlug der Länge nach hin. Sie hörte das Gelächter von Kindern hinter sich. Sie konnte beinahe spüren, wie sie mit dem Finger auf sie zeigten.
    Sie rappelte sich wieder auf und ging weiter, schneller und schneller, mitten durch die Dunkelheit, die Rute vor sich herschwingend, um sicherzugehen, dass ihr nichts den Weg versperrte. Jedes Mal, wenn sie hinfiel, stand sie wieder auf und ging tapfer weiter. Sie verlangsamte ihren Schritt erst, als sie Schildkrötenfleisch roch. Da wusste sie, dass sie sich unmittelbar vor ihrem Haus befand, denn Schildkrötenfleisch war das einzige Fleisch, das sie sich leisten konnten, und sie aßen es häufig. Sie folgte dem Duft, bis sie mit ihrem Fuß an die Türschwelle stieß, das Gleichgewicht verlor und mitten in die bescheidene Wohnung stürzte. Sie prallte gegen die Wand, wobei sich der Eingangsspiegel löste und klirrend zu Boden fiel.
    Onkel Fingal gab ihr daraufhin eine Ohrfeige und rief verärgert aus:
    «Du dummes, blindes Ding. Hättest du nicht besser aufpassen können?»
    «Es tut mir leid, Sir», sagte Aliyah mit weinerlicher Stimme.
    «Ja, das soll es auch», knurrte der Onkel. «Der Spiegel gehörte deiner Mutter.» Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: «Hast du Hunger?»
    «Ja, Sir», piepste Aliyah.
    «Dann mach dir selber was. Und sammle gefälligst die Scherben auf. Ich hatte einen stressigen Tag. Ich leg mich schlafen.»
    Er stampfte an ihr vorbei und ließ sie mit dem zersprungenen Spiegel auf dem Boden zurück. Wimmernd begann Aliyah mit ihren kleinen Fingerchen die Scherben zusammenzuklauben. Sie zerschnitt sich daran die Finger, während ihr Onkel in seinem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug.
    «Aliyah», murmelte Joash mitfühlend, nachdem die Vision verschwunden war. Er stand auf, konnte aber noch immer nichts sehen. Langsam tastete er sich zur Wand vor, und als er sie berührte, merkte er, dass sie kalt und glatt war.

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