Dark Desires: Im Bann der Unsterblichkeit
konnte der Polizei Hinweise geben. Ich dachte, ich hätte sie ebenfalls verloren. Drei Wochen später ist sie zu mir zurückgekommen.“ Soony blinzelte eine Träne weg. Sie fiel auf das Bündchen des Pullovers und hinterließ einen feuchten Fleck auf dem Stoff. „Was hätte ich tun sollen?“ Soony schaute auf. „Sie wegschicken?“
Darauf hatte Jesse keine Antwort. Er schaute zum Fenster.
Die Dämmerung hatte eingesetzt. Bald würde die Sonne aufgehen.
Plötzlich überkam Jesse entsetzliche Angst. Devon war ein Vampir, trotzdem konnte er sterben. Es gab keine Garantie.
„Du denkst an deinen Freund?“
Er sah Soony an.
„Ist er dein Freund? Der Vampir mit den braunen Haaren?“
Jesse nickte. Er erwartete Vorwürfe oder Unverständnis, doch sie sagte nichts dergleichen.
„Er wird meine Schwester töten.“ Soony wirkte fast erleichtert.
„Es tut mir leid.“
Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich weiß.“
„Du könntest alles vergessen.“ Jesse wagte erst nach einigen Sekunden, sie anzusehen. Soony betrachtete ihn verständnislos aus dunklen Mandelaugen. „Devon, mein Freund“, korrigierte er sich und ihm gefiel der Klang des Wortes, „könnte dir dabei helfen. Er könnte die Erinnerungen an die vergangenen anderthalb Jahre aus deinem Gedächtnis löschen. Wenn du es möchtest.“
Soony sah ihn an, als wäre er Retter und Henker in einer Person. Doch sie gab keine Antwort.
Während es draußen heller wurde, schenkte Jesse ihnen Tee ein.
Sein Blick wanderte immer wieder zum Fenster. Er konnte hier nicht untätig herumsitzen! Aber er musste auf Soony aufpassen. Sie durfte jetzt nicht allein sein.
Die junge Frau schien seine Gedanken lesen zu können.
„Wenn du gehen möchtest, geh.“ Sie hielt ihren Becher fest in beiden Händen und trank einen winzigen Schluck.
Jesse schüttelte den Kopf. „Es ist zu gefährlich. Mit Vampiren kann ich es nicht aufnehmen. Außerdem kenne ich die Adresse nicht.“ Weder Devon noch Dashiell hatten sie ihm verraten wollen und die Docklands waren zu groß, um auf sein Glück zu vertrauen.
„Ihr Versteck ist im Keller eines leerstehenden Gebäudes am Ende der Sims Street. Kurz bevor die Straße eine Schleife macht.“ Soony stellte den Becher ab und schaute ihn auffordernd an.
Euphorie kribbelte in Jesses Adern. Er musste dort hin! Gleichgültig, ob er helfen konnte oder nicht. Er wollte nicht tatenlos herumsitzen.
„Versprich mir, keine Dummheiten zu machen, während ich weg bin!“ Das Letzte, was er wollte, war zurückzukommen und Soony tot in seiner Wohnung vorzufinden.
Zuerst verstand sie ihn nicht. Dann wich sie seinem Blick aus.
„Versprich es mir“, wiederholte er flehend. „Bitte!“
Sie betrachtete ihn einige Sekunden. „Ich verspreche es.“
Es konnten leere Worte sein. Sie konnte sich etwas antun, sobald er aus der Tür war. Aber Jesse glaubte ihr. Er wollte ihr glauben. Er zog seine Jacke an, holte das Handy aus dem Rucksack und schrieb seine Nummer rasch auf einen Zettel.
„Ruf mich an, falls etwas passiert. Sollten Devon oder Dashiell sich melden, gib ihnen diese Nummer.“ Jesse konnte sich nicht erinnern, ob er sie ihnen genannt hatte.
Er öffnete die Tür zum Laubengang und bemerkte erst jetzt das kaputte Türschloss. Devon?
Die Metalltreppe in den Innenhof schien Jesse herausfordernd anzustarren. Er drängte die aufkommende Beklemmung beiseite, lief rasch die Stufen herunter und setzte sich ans Steuer des Pick-Ups. Auf einer Straßenkarte, die im Handschuhfach lag, fand er die Sims Street. Jesse klemmte die Karte zwischen den Oberschenkeln ein und startete den Motor. Als er mit der Linken in den Rückwärtsgang schaltete, schoss ein scharfer Schmerz in sein verletztes Handgelenk. Er biss die Zähne zusammen und setzte zurück. In die Docklands würde er gut zwanzig Minuten brauchen. Wenn viel Verkehr war, sogar länger.
Kapitel 22
Dashiell
Dashiell steuerte den Wagen durch den morgendlichen Stoßverkehr. Der Himmel verfärbte sich allmählich von Grau zu Blau. In Australien ging die Sonne nicht gemächlich auf und unter. Sie kam und ging wie im Zeitraffer. Die Phase zwischen Dämmerung und Sonnenaufgang war gefährlich kurz. Er wechselte die Spur und erhöhte die Geschwindigkeit, um zügig die Rampe zum Westgate Freeway hochzufahren. An der zweiten Ausfahrt lenkte er den Jeep über eine Brücke und bog in den Docklands Highway ein. Dieser Teil der Docklands war nicht vergleichbar mit dem
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