Dark Heart: Zweiter Band
und natürlich Kaffee aus der Espressokanne, ohne den am Morgen bei uns gar nichts ging. Mom gab meinem Vater, der schon jetzt unentwegt mit der Redaktion telefonierte, einen Kuss, den er mit einem Lächeln erwiderte. Die Schwäche, die ich vorhin an ihm bemerkt hatte, schien wie weggeblasen.
Ich sah Mom verstohlen an. Seit ich wusste, dass Lloyd nicht mein richtiger Vater war, beobachtete ich genau, wie sie sich ihm gegenüber verhielt, versuchte ihre Gesten, ihre Stimme zu deuten. Seit siebzehn Jahren lebte meine Mutter mit einer Lüge und das musste schwer an ihrem Gewissen nagen. Das Geheimnis meiner Herkunft war wie eine Bombe. Wenn sie zündete, konnte unsere Familie zerstört werden. Und Dad wäre vermutlich das erste Opfer.
Dabei hatte Moms Geständnis auch mich in eine Zwickmühle gebracht. Ich liebte Lloyd, nur er war mein Dad. Er war immer für mich da gewesen und hatte manchmal mehr Verständnis für meine Launen als Mom.
Trotzdem wollte ich meinen leiblichen Vater unbedingt kennenlernen. Ich war geradezu besessen davon, mehr über die Umstände meiner Herkunft zu erfahren. Lebte James Milton noch? Und wenn ja, wo? Warum war er nach der Trennung von meiner Mutter verschwunden? Welche meiner Charakterzüge würde ich in ihm wiederfinden? Mom war in dieser Hinsicht keine gute Quelle, denn Milton hatte ihr nur wenig über sich selbst und das Vampirleben verraten.
Ich blickte zum Fernseher auf der Küchentheke hinüber. CNN kannte momentan nur ein Thema: den Flugzeugabsturz über der Innenstadt von Schanghai, bei dem einige hochrangige Regierungs- und Wirtschaftsvertreter ums Leben gekommen waren. Die obere Kugel des Oriental Pearl Tower brannte noch immer und weckte schlimme Erinnerungen an den 11. September 2001, als Terroristen zwei Linienmaschinen in die beiden Türme des New Yorker World Trade Centers gesteuert hatten. Den ersten Meldungen zufolge handelte es sich bei der Katastrophe in China aber nicht um einen Anschlag. Augenzeugen berichteten, dass die Triebwerke der Maschine vor dem Absturz gebrannt hatten. Ein Unfall, schrecklich genug, aber eben nur ein Unfall.
Um halb acht klingelte es an der Haustür. Dad, der gerade im Begriff war, zur Arbeit zu fahren, öffnete.
»Hi, Mark«, sagte er und griff nach seinem Mantel, der an der Garderobe hing.
»Guten Morgen, M r Garner.« Mark hatte sich gerade den Helm abgezogen und war total verstrubbelt. Seine sonst so strahlenden hellblauen Augen wirkten matt in dem sonnengebräunten Gesicht, so als hätte er in den letzten Nächten kaum geschlafen. Er trug seine dicke Motorradjacke, die er bis zum Hals geschlossen hatte. Es war erstaunlich kalt geworden in der letzten Nacht. Die Fenster der am Straßenrand parkenden Autos waren noch beschlagen vom Morgentau.
»Alles in Ordnung bei euch?«, fragte Dad ein wenig unbeholfen.
Der Luftzug von draußen ließ mich frösteln.
Mark runzelte die Stirn. Ich stand hinter meinem Vater und machte eine hilflose Geste, als wüsste auch ich nicht, was diese Frage sollte.
»Es ist alles okay«, sagte Mark.
Dad räusperte sich. »Steht schon ein Termin für die Beisetzung deines Vaters fest?«
Mark schüttelte den Kopf. »Die Polizei hat die Leiche noch nicht freigegeben.«
Dad hob überrascht die Augenbrauen. »Wurde eine Begründung dafür gegeben?«
Mark lachte bitter. »Natürlich nicht. Aber ich glaube, die Fahnder gehen davon aus, dass er in einer üblen Sache mit drinhing. Anscheinend gab es in dem Sommerhaus in Alder Creek einige blutige Morde, die im Zusammenhang mit der russischen Mafia stehen.« Bei diesen Worten mied Mark bewusst meinen Blick.
Die Zeitungen hatten berichtet, dass George Dupont sich angeblich mit der Unterwelt eingelassen hatte, um seinen riesigen Schuldenberg abzutragen. Doch Mark und ich wussten beide nur zu genau, was in Wirklichkeit geschehen war.
Dad blickte auf seine Armbanduhr. »Ich muss leider los.« Er gab Mom, die ihm seine Tasche reichte, einen Kuss auf die Wange. »Ich hoffe, dass es heute nicht zu spät wird.«
»Denk dran, wir haben heute Abend um acht die Verabredung mit den Sorvinos«, erinnerte sie ihn.
Dad sah sie entgeistert an. »Seit wann?«
»Seit einem Monat«, entgegnete Mom vorwurfsvoll. »Sag bloß, das hast du vergessen?«
Dad kniff die Augen zusammen, als ginge er im Geiste seinen Terminkalender durch. Auf seine Stirn traten kleine Schweißperlen. Resigniert ließ er die Schultern hängen, als es ihm schließlich dämmerte. »Mist! Helens
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