Dark Heart: Zweiter Band
mich sehr erstaunt, wie gut er die vergangene Woche weggesteckt hatte.
Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen, während Mark den Wagen ohne Probleme startete. Er sah mich von der Seite an. »Wie war denn deine erste Nacht bei Lilith?«
»Charles Solomons Leiche ist verschwunden.«
Jetzt war es Mark, der fest auf die Bremse trat.
»Was? Und das sagst du mir erst jetzt? Wann ist das passiert?«
»Gestern Nacht«, sagte ich.
Mark musste diese Neuigkeit erst einmal verdauen.
»Was sagt deine Großmutter dazu?«
»Sie ist stinksauer auf Hank.«
Mark versuchte mich mit einem Lächeln aufzumuntern, das ich nur gequält erwidern konnte. Meine Müdigkeit war bleiern. Was hätte ich darum gegeben, mich jetzt noch einmal ins Bett legen zu dürfen. Ich lehnte den Kopf an die Tür und schloss die Augen.
Ich hatte in diesen Sommerferien keinen einzigen Gedanken an die Schule verschwendet. Was früher die Normalität meines Lebens gewesen war, erschien mir nach allem, was ich in den letzten Wochen erlebt hatte, wie eine überflüssige Pflichtübung. In meinem Kopf war kein Platz für englische Literatur, Mathematik oder Geografie. Die Vorstellung, von nun an wieder fünf Tage in der Woche in muffigen Kursräumen zu sitzen, um über Shakespeare, Pythagoras oder die Bevölkerungsentwicklung von Bangladesch zu diskutieren, erschien mir absolut widersinnig. Mein wahres Leben spielte sich in der Nacht ab. Und dieses Leben war gefährlich und aufregend zugleic h – genau das Gegenteil jener gepflegten alltäglichen Routine, die vom heutigen Morgen an wieder herrschen sollte.
Die Rockridge Secondary…
D ie Rockridge Secondary School war nicht weit vom Woodgreen Drive entfernt. Wenn wir früh genug dran gewesen wären, hätten wir den Weg auch zu Fuß gehen können, zumal es morgens immer schwierig war, einen Parkplatz zu finden. West Vancouver war ein reiches Viertel. Jeder, der mit sechzehn seinen Führerschein machte, bekam von den Eltern gleich ein Auto geschenkt. Deswegen konnte es schon mal passieren, dass der Schulparkplatz bereits vor Unterrichtsbeginn überfüllt war und man seinen Wagen vor dem gegenüberliegenden Einkaufszentrum abstellen musste, was natürlich nicht gern gesehen wurde. Doch wir hatten Glück. Mark fand eine Lücke, in die der Käfer noch hineinpasste.
Wir waren gerade ausgestiegen, als ich hörte, wie jemand laut unsere Namen rief. Es war Rachel! Sie kam zu uns herüber und umarmte zuallererst Mark. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe von meinen Eltern gehört, was deinem Vater passiert ist. Es ist so schrecklich.« Sie drückte noch einmal Marks Arm. »Ich habe ihn sehr gemocht.«
Rachel war eigentlich die personifizierte gute Laune. Für sie war das Glas immer halb voll und niemals halb leer. Ich konnte ihren Optimismus zwar nicht immer teilen, aber ich liebte sie dafür. Sie schaffte es, alle meine Sorgen im Nu zu vertreiben. Doch auch sie hatte der Tod von Marks Vater total erschüttert.
»Danke, lieb von dir, dass du das sagst«, erwiderte Mark. Ich wusste, dass er Rachel und ihre quietschige Art mochte. Es hatte sogar mal eine Zeit gegeben, in der ich dachte, er wäre in sie und nicht in mich verliebt. Er hatte mich dann aber sehr schnell vom Gegenteil überzeugt.
»Du siehst toll aus«, sagte ich zu ihr.
Rachel lüpfte ein imaginäres Kleid und machte einen Knicks. »Das, meine Liebe, macht die Sonne Kaliforniens.« Sie roch immer noch ein bisschen nach Meer und Seeluft. Ihr einziges Zugeständnis an das westkanadische Wetter waren eine verschossene Jeans und ein weißes, langärmeliges T-Shirt, das sie unter einem bunten Top trug, auf dem das Logo irgendeiner obskuren Band prangte. Rachel war berühmt für ihren abgedrehten Musikgeschmack.
»Wo ist Matthew?«, fragte Mark und schaute sich um, als eine Hand auf seine Schulter schlug.
»Hier«, sagte er und umarmte seinen Freund. »Tut mir leid wegen deines Dads.«
Mark war ein kräftiger Typ, aber gegen Rachels Freund wirkte er geradezu schmächtig. Matthew bekam schon von der geringsten sportlichen Anstrengung Muskeln. Sein rotes Haar trug er stoppelkurz. Auf seiner Sommersprossennase saß eine schwere schwarze Ray Ban, mit der er aussah wie ein zu groß geratener Streber. Im Gegensatz zu Rachel wurde Matthew nicht braun, sondern rot. Er hätte den Sommer besser in einer unterirdischen Höhle verbracht.
»Hat man den Kerl, der deinen Vater auf dem Gewissen hat, eigentlich schon geschnappt?«, fragte er.
Mark
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