Dark Heart: Zweiter Band
ausgebrannte Autos, Krater und Ruinen, über denen träge dunkle Vögel kreisten. Eisiger Regen fiel. Fernes Donnergrollen zerriss die Grabesstille. Zwei Schemen wanderten über das Feld. Die eine Gestalt war hochgewachsen und kraftvoll, die andere gebeugt und schwerfällig. Ich wollte rufen, brachte aber außer einem gequälten Husten keinen Laut hervor. Abrupt löste sich die Szenerie auf und ich war wieder von Dunkelheit umgeben. Zitternd tastete ich nach Halt, stolperte und wäre beinahe über einen Gesteinsbrocken gefallen.
Das hatte so echt ausgesehen, dass ich für einen kurzen Augenblick geglaubt hatte, ich wäre an einen anderen Ort versetzt worden. So etwas kannte ich nur von meinen telepathischen Begegnungen mit Jack. Doch da hatte ich die Welt durch seine Augen gesehen, hatte gefühlt, was er gefühlt hatte. Diesmal war ich eine unbeteiligte Beobachterin gewesen. Die Dämpfe begannen mich zu betäuben. Taumelnd stand ich auf und zwang mich, noch weiter ins Herz der Finsternis vorzudringen.
Und dann stand ich in einer Wüste. Die grelle Sonne brannte von einem nackten Himmel auf ockerfarbene, zerklüftete Hügel, die keinerlei Schatten boten und noch nie einen Tropfen Wasser gesehen hatten. Ein endloser Treck zerlumpter Gestalten wankte hoffnungslos und gleichgültig durch den Staub dem sicheren Tod entgegen, den einige schon gefunden hatten, denn der Weg war gesäumt mit leblosen Körpern, die niemand beachtete und niemand begrub. Und wieder sah ich die beiden Gestalten. Ein zögernder Wanderer und sein Führer, die auf dem angrenzenden Hügel eine Staubfahne hinter sich herzogen. Der heiße Wind trieb mir beißenden Sand ins Gesicht. Ich kniete nieder und rang nach Luft. Doch der Fels unter meinen Händen glühte nicht mehr, sondern war wieder kalt und feucht. Ich öffnete die Augen und nahm einen Lichtschein war, der mir den Weg wies.
Je näher ich diesem Licht kam, desto schwerer fiel es mir, sicheren Tritt zu fassen. Meine Beine fühlten sich wie Blei an, hinter den Augen pochte ein dumpfer Schmerz. Blitze zuckten, dann sah ich Krankheit und Siechtum. Kleine Kinder, die in den Armen ihrer Mütter starben. Menschen im Fieberdelirium. Und Leichen. Viele Leichen. Dutzende. Hunderte. Menschen begruben sie auf einem Friedhof, der bis zum Horizont reichte. Zwei Männer standen unter einem kahlen Baum. Einer kniete mit dem Rücken zu mir wie in stiller, verzweifelter Andacht. Der zweite stand, in einen schweren, dunklen Übermantel gehüllt, neben ihm, mit beiden Händen stützte er sich auf einen Stock. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn erkannte. Es war Charles Solomon. Die Glatze ließ seine Gesichtszüge noch schärfer hervortreten, seine Augen lagen eingefallen in den Höhlen, die graue Hose schlackerte um seine mageren Beine. Ich stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Solomon drehte sich verwundert zu mir um. Ich wollte mich verstecken, aber es war zu spät. Ich war starr vor Angst. Unsere Blicke trafen sich, und er lächelte mich an, als begrüßte er eine alte Freundin, auf die er schon gewartet hatte.
Der Mann, der niedergekniet war, richtete sich auf und funkelte Solomon wütend an. Es war James Milton, der sich voller Gram und Trauer über die Toten gebeugt hatte.
»Nein!«, rief mein Vater nur. Er war jung und hätte mein Bruder sein können. Dabei glich er ganz der Miniatur, die ich bei Lilith McCleery gesehen hatte. Nur sein stolzer Blick war Angst und Gewissensqual gewichen.
»Krieg, Hunger, Krankheit und Tod«, sagte Solomon. »Die Geißeln der Menschheit. In der Vergangenheit. Und in der Gegenwart. All die Toten, all das Leiden könntest du in der Zukunft verhindern, wenn du dein Wissen mit mir teiltest.« Sein Ton war ruhig, keinerlei Drohung lag in seiner Stimme. »Die Entscheidung liegt bei dir. Ich dränge dich nicht.«
Milton hielt inne und drehte sich noch einmal um. Er biss die Zähne fest zusammen, ballte die Fäuste und schloss die Augen.
»Und wenn dir schon all die unschuldigen Männer und Frauen, Kinder und Greise egal sind«, sagte Solomon mit triefendem Bedauern, »dann denke wenigstens an deine Tochter.«
Miltons Fäuste entspannten sich. Ungläubig starrte er jetzt Solomon an, der mit seinem Stock auf mich zeigte. Mein Vater drehte sich zu mir um, grenzenloses Erstaunen auf seinem Gesicht. Er öffnete den Mund, um etwas zu rufen, aber seine Stimme versagte.
»Teile dein Wissen mit mir und alle werden leben«, sagte Solomon. »Für immer. Ohne Leiden.«
»Tu es
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