Dark Heart: Zweiter Band
nicht!«, schrie ich.
Meine Stimme hallte als Echo an den Höhlenwänden wider. Das Blut rauschte in meinen Ohren, mein Atem ging schnell und brachte trotzdem zu wenig Sauerstoff in meine brennende Lunge. Das Licht wurde heller und begann unstet zu flackern. Schritt für Schritt tastete ich mich weiter, erschöpft und benommen. Dann trat ich in die Grotte.
Vier Feuerschalen, aus denen heller Rauch aufstieg, waren so angeordnet, dass sie ein Quadrat bildeten, in dessen Mitte zwei Männer im Schneidersitz einander gegenübersaßen. Solomon hatte wie in einer Meditation die Hände auf die Oberschenkel gestützt und trug ein knöchellanges Gewand in Purpur, Silber und Schwarz. Vor ihm lagen mehrere handbeschriebene Blätter ausgebreitet. Aber er schien gar nicht zu lesen, denn seine Augen waren geschlossen, nur seine Lippen bewegten sich. Wieder und wieder flüsterte er dieselben unverständlichen Worte.
Milton konnte sich offenbar nur mit Mühe aufrecht halten. Immer wieder sank sein Kopf auf die bleiche entblößte Brust. Sein linker Arm hing kraftlos herab, Blut rann aus einer geöffneten Ader an seinem linken Handgelenk in ein flaches Gefäß, das bereits zur Hälfte gefüllt war.
Nun begann sich alles um mich herum zu drehen, meine Knie wurden weich. Farben und Formen wirbelten ineinander, verschmolzen, lösten sich auf, nur um sich wieder neu zusammenzusetzen.
Da fasste ich einen verrückten Gedanken. Ich tastete nach dem Messer, das mir Jack gegeben hatte. Jetzt war der einzige Augenblick, in dem ich Solomon durch einen Stich ins Herz töten und meinen Vater retten konnte. Meine Hand zitterte, als sich meine Finger um den Griff schlossen. Das Flackern in den Feuerschalen zauberte verwirrende Lichtreflexe auf die mattsilberne Klinge. Ich durfte nicht zögern. Doch ich hatte Angst. Noch nie hatte ich einen Menschen getötet.
»Oh Gott, vergib mir«, flüsterte ich und hob den Arm, bereit zuzustoßen, als mich eine Hand am Gelenk packte: Solomon war aus seiner Trance erwacht. Ich versuchte mich verzweifelt aus seiner Umklammerung zu befreien.
Solomon verdrehte meinen Arm so weit, dass sich die Klinge in das Fleisch bohrte. Ein heiß glühender Schmerz durchzuckte mich. Blut tropfte auf den nackten Fels und in das Gefäß, das das Blut meines Vaters aufgefangen hatte.
Solomon packte mich und stieß mich gegen die Wand. »Du kommst zu spät!«, zischte er mich mit einer Stimme wie trockenes Herbstlaub an. »Er hat es mir verraten. Es ist vorbei.«
Solomon hob die tönerne Schale auf, hielt sie in die Höhe, sprach leise einige Worte und verneigte sich vor ihr. Bevor ich auf den Beinen war und ihn daran hindern konnte, hatte er sie in einem Zug geleert. Ein rotes Rinnsal trat aus seinem rechten Mundwinkel, Tropfen fielen auf seine Robe.
Solomon begann sich sofort zu verwandeln. Sein Gesicht glättete sich wieder und verlor den verhärmten, gehetzten Ausdruck. Seine Glieder wurden straffer, seine Haltung kraftvoller.
Ich wollte zu meinem Messer kriechen, es aufheben und mit letzter Kraft zustoßen, aber Solomon entwand mir den Griff und trat mit voller Wucht auf die Klinge, sodass sie abbrach.
Dann beugte er sich zu meinem Vater hinunter und nahm seinen Kopf in beide Hände. Doch plötzlich stutzte er. Er schien kurz in sich hineinzuhorchen, bevor er den Kopf meines Vaters wieder losließ. Stöhnend wandte sich Milton zur Seite.
Ein Ausdruck des Unglaubens erschien auf Solomons Gesicht. Etwas schien in ihm zu arbeiten. Sein Körper veränderte sich, verfiel, gewann wieder an Kraft, nur um erneut rasant zu altern. Es war, als kämpften zwei einander entgegengesetzte Mächte in ihm.
»Vater!«, rief ich und streckte meine Hand aus. Meine Finger berührten seinen Arm und er öffnete benommen die Augen. »Vater, steh auf!«
Er schüttelte träge den Kopf. Ich kroch auf ihn zu, legte seinen Arm um meine Schulter und versuchte ihn gleichzeitig mit mir selbst aufzurichten.
»Wer bist du?«, flüsterte er, aber ich schwieg, denn jetzt, solange Solomon sich in Krämpfen wand, musste ich handeln.
»Du musst mir helfen!«, schrie ich. »Allein kann ich dich nicht hier rausschaffen!«
Mein Vater richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf, doch er hielt sich tapfer auf den Beinen. Ich drehte mich noch einmal um. In diesem Moment brach Solomon zusammen, sein Gesicht trug die Maske des Todes. Er stieß einen letzten Schrei aus. Dann begann sein Körper zu zerfallen, bis nur ein Häufchen Staub übrig
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