Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
ließ. Er begann mit dem Salzstreuer zu spielen, schüttete Salz auf den Tisch und fegte die Körnchen zu einem Häufchen zusammen. Um ein Haar hätte sie ihm gesagt, er sollte das lassen, aber sie biss sich in letzter Sekunde auf die Lippen. Für den Moment war sie froh, dass er am Tisch saß.
»Mit wem hast du denn telefoniert?«, fragte sie und goss ihm ein Glas Orangensaft ein, obwohl sie wusste, dass er es nicht anrühren würde, nur um sie zu ärgern.
»Mit ein paar Leuten.«
»Mit Leuten? Mehreren?«
Er zog die Augenbrauen hoch.
Die Fliegengittertür quietschte, kurz darauf knallte die Haustür gegen die Wand, und man hörte mehrere Stiefel auf die Fußmatte poltern – guterzogene Töchter, die keinen Schmutz ins Haus schleppten. Anscheinend hatte sich der Streit leicht schlichten lassen. Michelle und Debby kicherten schon wieder über irgendeinen Comic im Fernsehen. Libby marschierte herein, setzte sich auf einen Stuhl neben Ben und schüttelte sich die Schneereste aus den Haaren. Von den drei Mädchen beherrschte nur Libby die Kunst, Ben zu entwaffnen: Sie lächelte ihn von unten herauf an und winkte ihm kurz und freundlich zu.
»Hey, Libby«, sagte er, noch immer mit dem Salz beschäftigt.
»Hey, Ben. Ich mag deinen Salzberg.«
»Danke.«
Als dann jedoch die anderen beiden Mädchen die Küche betraten und mit ihren hellen, harten Stimmen auch die letzte Ecke ausfüllten, konnte Patty sehen, wie Ben sich wieder in sein Schneckenhaus zurückzog.
»Mom, Ben macht eine Sauerei«, rief Michelle denn auch sofort.
»Schon in Ordnung, Schätzchen. Die Pfannkuchen sind fast fertig. Eier, Ben?«
»Warum kriegt Ben Eier?«, heulte Michelle.
»Eier, Ben?«
»Ja.«
»Ich will auch Eier«, sagte Debby.
»Du magst doch überhaupt keine Eier«, fauchte Libby. Man konnte sich darauf verlassen, dass sie die Partei ihres Bruders ergriff. »Ben braucht Eier, weil er ein Junge ist. Ein Mann.«
Bei dieser Erklärung erschien der Hauch eines Lächelns auf Bens Gesicht, was wiederum Patty veranlasste, für Libby den schönsten, rundesten Pfannkuchen zu reservieren. Während die Eier in der Pfanne zischten, häufte sie die Pfannkuchen auf die Teller der Mädchen. Die Logistik des Frühstückzubereitens für fünf lief erstaunlich gut. Es waren die letzten Reste ordentliches Essen, noch übrig von Weihnachten, aber sie wollte sich deswegen jetzt keine Sorgen machen. Dafür war nach dem Frühstück noch genug Zeit.
»Mom, Debby hat die Ellbogen auf dem Tisch«, verkündete Michelle, immer noch in Herrscherlaune.
»Mom, Libby hat sich nicht die Hände gewaschen«, wieder Michelle.
»Hat keiner«, lachte Libby.
»Dreckspatz«, sagte Ben und knuffte sie spielerisch in die Seite. Aus irgendeinem Grund war das ein Witz zwischen ihnen. Patty wusste nicht, wie es angefangen hatte. Libby legte den Kopf in den Nacken und lachte lauter, ein Bühnenlachen, um Ben zu gefallen.
»Goldschatz«, kicherte sie dann – die übliche Antwort.
Patty seifte einen Lappen ein und reichte ihn herum, damit keiner aufzustehen brauchte. Dass Ben sich herabließ, eine seiner Schwestern zu necken, war eine Seltenheit, und sie hoffte die gute Laune erhalten zu können, wenn alle blieben, wo sie waren. Sie brauchte die entspannte Stimmung, wie man nach einer durchwachten Nacht den Schlaf braucht und den ganzen Tag davon träumt, sich endlich ins Bett legen zu können. Jeden Morgen wachte sie auf und gelobte hoch und heilig, sich von der Farm nicht so runterziehen zu lassen, sich vom Ruin des Hofs (sie war drei Jahre mit dem Kredit in Verzug, drei
Jahre
, ohne einen Silberstreif am Horizont) nicht in die Art Frau verwandeln zu lassen, die sie hasste: freudlos, verkniffen, unfähig, irgendetwas zu genießen. Jeden Morgen kniete sie sich auf den abgewetzten Teppich neben ihrem Bett und betete – genau genommen war es ein Schwur:
Heute werde ich nicht rumbrüllen, heute werde ich nicht weinen, heute werde ich mich nicht ducken, als wartete ich auf einen Schlag, der mich endgültig zerstört. Ich werde mich an dem Tag heute freuen
. Manchmal hielt sie durch bis zum Lunch. Jetzt waren alle sauber, alles war in Ordnung – bis Michelle wieder loslegte.
»Ben muss seine Mütze abnehmen.«
In der Familie hatte es immer die Regel gegeben, dass am Esstisch keine Kopfbedeckungen getragen wurden, eine so feste Regel, dass Patty überrascht war, sie überhaupt ansprechen zu müssen.
»Ja, Ben muss die Mütze abnehmen«, bestätigte Patty, ein
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