Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
sich lassen und nach Wichita fahren, wo Diondras Onkel ein Sportgeschäft betrieb und vielleicht einen Job für Ben hatte. Ben hatte versucht, ins Basketball-Team und ins Football-Team zu kommen, war aber bei beiden kurz und bündig zurückgewiesen worden, auf eine Art, die klarmachte, dass er es nicht noch mal zu probieren brauchte. Daher wäre es schon ein bisschen ironisch, wenn er seine Zeit in einem großen Raum mit Basketbällen und Footbällen verbringen würde. Andererseits konnte er vielleicht ein bisschen trainieren, wenn die ganze Ausrüstung in Reichweite war, und womöglich wurde er dann irgendwann so gut, dass er sich einem richtigen Team anschließen konnte. Es musste doch auch mal etwas Positives passieren.
Natürlich war Diondra für ihn das Positivste. Er und Diondra in ihrer eigenen Wohnung in Wichita, wo sie Hamburger aßen und fernsahen und Sex hatten und an einem Abend päckchenweise Zigaretten rauchten. Wenn er nicht bei Diondra war, rauchte Ben eigentlich kaum, aber sie war zigarettensüchtig und rauchte so viel, dass sie sogar nach Rauch roch, wenn sie gerade geduscht hatte. Fast so, als würde sie Mentholgeruch verströmen, wenn man sie in die Haut piekte. Inzwischen mochte Ben das richtig gern, es fühlte sich für ihn behaglich und wie ein Zuhause an, der gleiche Effekt, den der Duft von warmem Brot auf manche Leute ausübt. So würde es sein: Er und Diondra, ihre dichten braunen Locken ganz hart und steif vor lauter Gel (noch ein Geruch, der zu ihr gehörte, der scharfe Zitrusduft ihrer Haare), saßen auf dem Sofa und sahen sich die Soaps an, die sie jeden Tag aufnahm. Inzwischen hatte auch Ben sich von den ganzen Dramen einfangen lassen: breitschultrige Ladys mit glitzernden Diamantringen, die Champagner tranken und ihre Ehemänner betrogen oder von ihnen betrogen wurden. Oder es litt jemand unter Gedächtnisverlust und ging deshalb fremd. Wenn er von der Arbeit kam mit nach staubigem Basketballleder duftenden Händen, hätte sie ihm schon einen Snack von McDonald’s oder Taco Bell mitgebracht, und dann würden sie einfach nur abhängen und Witze über die schmuckbehangenen Tussen im Fernsehen machen, und Diondra würde ihm zeigen, welche die hübschesten Nägel hatte, oder sie würde ihm manchmal die Lippen schminken, was sie furchtbar gerne tat, weil sie ihn, wie sie es ausdrückte, so gerne ein bisschen hübsch machte. Am Ende gab es dann einen Kitzelkampf auf dem Bett, sie waren nackt, auf ihren Rücken klebten die kleinen Ketchuppäckchen, mit denen sie sich beworfen hatten, und Diondra würde so laut und schrill lachen, dass die Nachbarn an die Wand hämmerten.
Allerdings war dieses Bild nicht ganz vollständig. Ben hatte ein ganz schreckliches Detail absichtlich ausgelassen, hatte bestimmte Aspekte der Realität einfach ausradiert. Das konnte kein gutes Zeichen sein, denn es bedeutete, dass die ganze Geschichte bloß ein Tagtraum war. Er war nur ein idiotischer kleiner Junge, der sich nicht mal eine Scheißwohnung in Wichita leisten konnte. Nicht mal so eine winzige Kleinigkeit. Eine vertraute Wut stieg in ihm auf. Sein Leben war eine lange Serie von Lügen, die alle nur darauf warteten, endlich über ihn herzufallen.
Vernichtung
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Wieder sah er Äxte, Gewehre, blutige, gemetzelte Körper. Schreie, die in Wimmern und jämmerliches Gepiepse übergingen. Er wollte, dass seine Wunde noch viel mehr blutete.
Libby Day
Jetzt
A ls ich noch klein war, lebte ich ungefähr fünf Monate bei Runners Cousin zweiten Grades in Holcomb, Kansas, während meine arme Tante Diane sich von meinem besonders furiosen zwölften Lebensjahr erholte. Ich erinnere mich kaum noch an diese fünf Monate, abgesehen davon, dass wir eine Klassenfahrt nach Dodge City unternahmen, um etwas über Wyatt Earp zu lernen. Wir dachten natürlich, wir würden Gewehre, Büffel und Huren zu sehen bekommen. Stattdessen schlurften wir, etwa zwanzig Leute, durch eine Reihe kleiner Archive, schauten uns Dokumente an, und der ganze Tag war voller Staub und Gejammer. Earp beeindruckte mich nicht besonders, aber ich liebte die alten Westernhelden mit ihren gewaltigen Schnurrbärten und den Augen, die glänzten wie Silbergeld. Ein Verbrecher wurde immer als »Dieb und Lügner« bezeichnet. Und dort, in einem dieser klaustrophobischen Kabuffs, während der Angestellte über die Kunst des Archivierens faselte, erzitterte ich vor Freude über eine große Erkenntnis. Denn ich dachte: »Genauso bin ich auch.«
Ich bin ein Dieb
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