Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
das war sein ganzes Leben gewesen, bevor er Diondra kennengelernt hatte. Jetzt war immerhin ein hübsches Dreieck daraus geworden: Schule und Farm und Diondras großes Haus am Stadtrand. Zu Hause fütterte er die Kühe und mistete den Stall aus, in der Schule machte er in etwa das Gleiche, putzte die Umkleidekabinen und die Cafeteria und wischte den Dreck der anderen Schüler weg. Trotzdem wurde von ihm erwartet, dass er die Hälfte seines Schecks an seine Mom abgab.
Familienanteil
. Ach ja? Eigentlich sorgen doch die Eltern für ihre Kinder, oder nicht? Vielleicht hätte man nicht noch mal drei Kinder in die Welt setzen sollen, wo man sich das Erste noch nicht mal richtig leisten konnte?
Das Fahrrad rappelte vor sich hin, und Ben wartete darauf, dass es in seine Einzelteile zerfiel wie in einer Comedy-Show oder einem Trickfilm, bis irgendwann nur noch der Sattel und ein einzelnes Rad übrig waren. Er hasste es sowieso, dass er sich mit dem Fahrrad fortbewegen musste wie irgendein Depp. Er hasste es, dass er nicht Auto fahren konnte.
Es gibt nichts Traurigeres als einen Kerl, der fast sechzehn ist
, sagte Trey immer, schüttelte den Kopf und blies ihm Rauch ins Gesicht. Das sagte er jedes Mal, wenn Ben auf dem Fahrrad bei Diondra auftauchte. Trey war meistens cool, aber er war ein Typ, der anderen immer eins auswischen musste. Er war neunzehn, hatte lange Haare, schwarz und glanzlos wie alter Teer und war Diondras Stiefcousin oder so was Seltsames – ihr Großonkel oder ein Freund der Familie oder der Stiefsohn eines Freunds der Familie. Entweder änderte er seine Geschichte gelegentlich, oder Ben hatte nicht genau aufgepasst. Was durchaus möglich war, denn in Treys Gegenwart verkrampfte Ben sich sofort und wurde sich auf unangenehme Weise seines Körpers bewusst. Warum stand er so krumm da? Was sollte er bloß mit seinen Händen anfangen? Sollte er sie lieber in die Seite stemmen oder in die Taschen stecken?
Beides fühlte sich komisch an. Beides konnte zu ironischen Kommentaren führen. Trey war ein Typ, der immer Ausschau hielt nach Dingen, die an einem Mensch nicht stimmten. Meistens waren es Kleinigkeiten, aber seine Bemerkungen trafen für gewöhnlich ins Schwarze. Man selbst nahm diese kleinen Macken oft gar nicht wahr, aber er posaunte sie so in die Gegend, dass auch bestimmt jeder es mitkriegte.
Hübsche Hochwasserhose
, war das Erste, was Trey zu Ben gesagt hatte. Damals hatte Ben eine Jeans getragen, die vielleicht einen Zentimeter zu kurz war. Vielleicht auch zwei.
Hübsche Hochwasserhose.
Diondra hatte sich weggeworfen vor Lachen. Ben hatte gewartet, bis sie aufhörte und Trey noch etwas sagte. Zehn Minuten saß er stumm da und bemühte sich, seine Beine so zu halten, dass man möglichst wenig von seinen Socken sah. Dann war er ins Bad gegangen, hatte seinen Gürtel ein Loch weiter gestellt und die Jeans auf die Hüften heruntergezogen. Als er wieder ins Zimmer kam – Diondras großes Freizeitzimmer im Erdgeschoss, mit einem blauen Teppich und Sitzsäcken, die überall herumstanden, als wären sie wie Pilze aus dem Boden geschossen –, hatte Trey ihn zum zweiten Mal angesprochen und gesagt: »Jetzt trägst du den Gürtel auf dem Schwanz, Mann. Damit verscheißerst du keinen.«
So radelte er weiter durch die Winterkälte, und die Schneeflocken wirbelten durch die Luft wie Staub. Auch nach seinem sechzehnten Geburtstag würde Ben kein Auto kriegen. Seine Mutter hatte einen Cavalier, den sie bei einer Versteigerung erstanden hatte, ein ehemaliges Mietauto. Aber sie konnten sich kein zweites Auto leisten, das hatte sie Ben schon erklärt. Sie würden sich die alte Schrottmühle teilen müssen, und schon allein bei der Vorstellung wollte Ben das Autofahren am liebsten ganz bleiben lassen. Wenn er nur daran dachte, Diondra mit einem Auto abzuholen, das nach Hunderten anderen Menschen roch, abgenutzt, gebraucht – alte Pommes und Sexflecken. Obendrein lagen darin auch immer die Schulbücher der Mädchen herum, ihre Stoffpuppen und Plastikarmbänder. Nein, das ging gar nicht. Diondra sagte immer, sie könnten doch ihr Auto nehmen (sie war siebzehn, noch ein Problem, denn war es nicht peinlich, zwei Klassen unter seiner Freundin zu sein?), und das war schon ein besseres Bild: Sie beide nebeneinander in Diondras rotem Honda CRX mit hohem Spezialheck, Diondras Mentholzigaretten parfümierten die Luft, Slayer dröhnte aus der Anlage. Ja, das war sehr viel besser.
Sie würden diese Scheißstadt hinter
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