Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
verkniffen von oben bis unten. Als sie ins Bett ging und sich auszog, konnte sie das Nikotin an der Stelle riechen, wo er sie gepackt hatte, direkt unter der Brust.
Er blieb noch einen weiteren Monat, begaffte sie, fing irgendwelche Arbeiten an und ließ sie halbfertig liegen. Als sie ihn eines Tages dann beim Frühstück bat zu verschwinden, beschimpfte er sie, nannte sie blöde Zicke und warf ein Glas nach ihr. Man sah die Saftspritzer immer noch an der Decke. Als er weg war, merkte sie, dass er ihr sechzig Dollar, zwei Flaschen Schnaps und ein Schmuckkästchen gestohlen hatte, das aber leer war, wie er bald herausfinden würde. Er zog in eine verfallene Hütte etwa eine Meile entfernt – aus dem Kamin rauchte es immer, anders konnte man die Bruchbude nicht heizen. Manchmal hörte sie Schüsse in der Ferne, der Klang von Kugeln, die in die Luft gefeuert wurden.
Das würde die letzte Romanze mit dem Mann sein, der ihre Kinder gezeugt hatte. Es war Zeit, der Realität ins Auge zu schauen. Patty strich ihre trockenen, störrischen Haare hinter die Ohren und öffnete die Tür. Direkt vor ihr saß Michelle auf dem Boden und tat so, als studierte sie aufmerksam die Dielen. Sie blickte sofort auf und musterte ihre Mutter durch ihre graugetönte Brille.
»Kriegt Ben jetzt Ärger?«, fragte sie. »Warum hat er das gemacht? Das mit seinen Haaren?«
»So was macht man eben in seinem Alter, glaube ich«, antwortete Patty, und gerade als Michelle tief Atem holte – sie sog immer die Luft ein, bevor sie etwas sagte, und stieß dann die Sätze in engen, rasanten Wortketten hervor, die vom nächsten Atemzug unterbrochen wurden –, hörten sie ein Auto die Auffahrt heraufkommen. Die Auffahrt war lang, und es dauerte immer etwa eine Minute, bis jemand am Haus anlangte, aber aus irgendeinem Grund wusste Patty sofort, dass es nicht ihre Schwester war. Sie war sicher, dass Len, der Darlehensberater, im Anmarsch war, und sogar das Motorengeräusch hatte etwas Besitzergreifendes an sich. Len, der liquide Lustmolch. Seit 1981 stritt Patty mit ihm. Damals hatte Runner sie verlassen und verkündet, dass dieses Leben nichts für ihn sei. Dabei hatte er um sich geblickt, als würde die Farm ihm gehören, nicht Patty und davor ihren Eltern und Großeltern.
Er hatte sie geheiratet und alles heruntergewirtschaftet. Der arme, enttäuschte Runner, der in den Siebzigern so hochfliegende Pläne gehabt hatte, damals, als man glaubte, mit einer Farm viel Geld machen zu können. Ha! Bei diesem Gedanken schnaubte Patty laut, man stelle sich das mal vor. 1974 hatten sie und Runner die Farm von Pattys Eltern übernommen. Es war eine große Sache, viel wichtiger als die Hochzeit oder die Geburt ihres ersten Kindes. Über diese beiden Ereignisse hatten sich ihre freundlichen, stillen Eltern nicht sonderlich gefreut – sie hatten von Anfang an geahnt, dass die Liaison mit Runner Ärger bedeutete, aber sie redeten nie schlecht über ihn, Gott segne sie. Als Patty ihnen mit siebzehn erklärt hatte, dass sie schwanger sei und heiraten wollte, hatten sie einfach nur
Oh
gesagt.
Oh
. Das reichte.
Patty besaß ein Foto von dem Tag, als sie die Farm übernahmen. Ziemlich unscharf waren darauf ihre Eltern zu sehen, steif und stolz, schüchtern lächelten sie in die Kamera, daneben Patty und Runner mit einem triumphierenden Grinsen, üppiger Haarmähne, unglaublich jung, Sekt in der Hand. Ihre Eltern hatten davor noch nie Sekt getrunken, aber zur Feier dieses Tages hatten sie eine Flasche gekauft. Und stießen mit alten Marmeladengläsern an.
Ziemlich schnell ging alles schief, und Patty konnte nicht nur Runner die Schuld dafür geben. Damals dachten viele, dass die Bodenpreise weiterhin steigen würden, was sprach also dagegen, dass man immer mehr und immer besseres Land kaufte?
Einen Zaunpfosten nach dem anderen
, lautete die Parole. Sei aggressiv, sei mutig. Völlig unwissend, den Kopf voller Flausen, so war Runner mit ihr zur Bank marschiert – er hatte eine limonengelbe Krawatte umgebunden, breit und dick wie eine Steppdecke –, und sie hatten herumgedruckst und gelabert, bis man ihnen einen Kredit gewährte, der doppelt so hoch war, wie sie ursprünglich geplant hatten. Vielleicht hätten sie das Darlehen nicht annehmen sollen, aber der Kreditgeber sagte, sie sollten sich keine Sorgen machen – die Wirtschaft boomte.
Die schmeißen einem das Geld ja nach!,
hatte Runner gejubelt, und auf einmal hatten sie einen neuen Traktor, eine
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