Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Ole, der auf seinem Hocker inmitten von Blinkern und Kühlkisten voller Köder und Royal Crown Cola saß, war fester Bestandteil des Jachthafens. Wie immer steckte ein erloschener Zigarrenstummel in seinem Mundwinkel, ein Halbkreis roten, teils ergrauten Haares umkränzte seine Glatze, und Falten umränderten seine Augen hinter der Vergrößerungsbrille. »Hab ihm gesagt, dass du noch eine Weile draußen bleibst, aber er wollte warten.« Er biss den Faden ab und drehte das kleine orangefarbene Büschel um, das einen Haken verbarg und eine Fliege zum Lachsangeln darstellen sollte. »Dachte mir, wenn er unbedingt will, kann ich ihn nicht dran hindern.«
»Wer?«
»Hat mir nicht gesagt, wie er heißt. Aber du findest ihn schon.« Endlich hob Ole doch den Blick über die Halbgläser der Brille. Durch das offene Fenster konnte man Zigarettenschachteln, Gezeitentabellen und Dutzende der bunten Fliegen sehen. »Er ist nicht aus dieser Gegend. Das hab ich sofort gemerkt.«
Nick straffte die Schultern. »Danke.«
»Keine Ursache«, erwiderte Ole und nickte knapp. Tough Guy stieß ein scharfes Bellen aus.
Nick stieg die Treppe hinauf und überquerte einen Kiesplatz, auf dem Pick-ups, Anhänger und Wohnwagen chaotisch durcheinanderstanden. In der Mitte des Platzes stand ein silberner Jaguar mit kalifornischem Kennzeichen. Der Motor lief, verstummte jedoch plötzlich, als Nick näher kam. Die Fahrertür schwang auf, und ein Mann von beachtlicher Körpergröße, in Anzug, glänzend polierten Schuhen und Regenmantel, stieg aus.
Alex Cahill höchstpersönlich.
Toll. Einfach … toll.
Er hatte sich ja einen großartigen Tag für seinen Besuch ausgesucht.
»Wird aber auch Zeit«, sagte Alex, als hätte er schon stundenlang gewartet. »Ich dachte schon, du wärst da draußen krepiert.« Er wies mit einer Kopfbewegung zum Meer.
»Pech gehabt.«
»Vielleicht klappt’s beim nächsten Mal.«
»Vielleicht.«
Alex’ stechende Augen, die mehr grau als blau waren, blitzten auf. »Immer noch der alte respektlose Mistkerl.«
»Ich gebe mir Mühe.« Nick gestattete sich kein Lächeln. »Ich will doch niemanden enttäuschen.«
»Scheiße, Nick, du hast doch noch nie was anderes getan.«
»Mag sein.«
Nick nahm an, ihre Mutter müsse gestorben sein. Kein anderer Grund hätte Alex dazu bewegen können, das Profil seiner Dreihundert-Dollar-Reifen derart abzunutzen. Andererseits war es schwer vorstellbar – Eugenia Haversmith Cahill war die zäheste Frau, die jemals in Highheels auf Erden gewandelt war. Nein, entschied Nick, ihre Mutter konnte nicht tot sein. Eugenia würde ihre beiden Söhne überleben.
Nick ging zu seinem Pick-up und stellte den Eimer auf die Ladefläche. Um den Parkplatz herum verlief ein Zaun mit abgeblättertem Lack, der zusammen mit den Fichten, die von Wind und Wetter gebeugt waren, den Jachthafen von einem Antiquitätengeschäft mit zugenagelten Fenstern trennte. Der Laden war schon geschlossen gewesen, als Nick vor fünf Jahren nach Devil’s Cove gezogen war.
Alex vergrub die Hände tief in den Taschen seines Mantels. Nick vermutete, dass es ein Designerstück war. Nicht dass er etwas davon verstanden hätte. Es war ihm auch gleichgültig. Aber irgendetwas war faul, das wusste er.
»Hör zu, Nick, ich bin hergekommen, weil ich deine Hilfe brauche.«
» Du brauchst meine Hilfe?«, wiederholte Nick mit einem skeptischen Grinsen. »Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?«
»Es ist mein Ernst.«
»Sicher.«
»Es geht um Marla.«
Verdammte Scheiße. Nick zog die Schultern in der Wildlederjacke hoch. Ganz gleich, was jetzt kam, er würde sich in nichts hineinziehen lassen.
Nicht von Marla.
Nie wieder.
»Sie hatte einen Unfall«, entgegnete Alex.
Nicks Magen krampfte sich zusammen. »Was für einen Unfall?« Er biss so fest die Zähne zusammen, dass es schmerzte. Von jeher traute er seinem älteren Bruder nicht. Und zwar aus gutem Grund. Solange Nick denken konnte, hatte Alex Cahill vor dem Altar des Dollars geopfert, das Knie vor jeder Börsennotierung gebeugt und die Schutzheiligen von San Francisco verehrt, die Elite, die man landläufig als »alten Geldadel« bezeichnete. Das traf doppelt auf seine Frau, die schöne Aufsteigerin Marla, zu.
Sein Bruder stellte für Nick nichts als eine bittere Erinnerung an seine eigene Tändelei mit dem Allmächtigen Dollar dar. Und mit Marla.
»Es ist schlimm, Nick«, sagte Alex und trat mit der Spitze seines glänzenden Schuhs nach einem
Weitere Kostenlose Bücher