Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
wirklich versteht, und ich weiß, dass Kiyo falschliegt. Es wird dir bald besser gehen. Wir brauchen dich zu sehr. Ich brauche dich.«
Ich hätte fast wieder mit demselben Gelaber losgelegt wie vorhin – dass wir diese Mission ohne Dorians Fähigkeiten nicht zu Ende bringen konnten. Dann ließ ich mir das noch mal durch den Kopf gehen. Dieses Lied hatte ich den ganzen Tag lang gesungen – ohne jeden Effekt. Ihr müsst ihnen einen Grund zur Rückkehr bieten.
»Tut mir leid«, sagte ich, immer noch ganz leise, damit nur Dorian es hören konnte. Und ich war mir sicher, dass er es konnte. Musste er doch. »Tut mir leid, dass ich nicht besonders nett zu dir gewesen bin … eine Zeit lang. Du hast eine Menge für mich getan – wahrscheinlich mehr als jeder andere – , und ich hab dir vieles davon immer wieder vorgehalten. Das war falsch. Ich meine, ich teile deine Einstellung in Sachen Eisenkrone nicht, das weißt du – aber ich verstehe, warum du so gehandelt hast. Und ich weiß, dass es dir nicht darum ging, mich zu manipulieren. Jedenfalls hast du nicht darauf abgezielt. Ich weiß, wie du drauf bist. Du musst Sachen erreichen, und wenn du den effektivsten Weg dafür gefunden hast, dann handelst du. Genau das ist ja eine deiner Stärken als König. Genau darum folgen dir die Leute ja überallhin.«
Keine Antwort – natürlich nicht. Mir rannen Tränen aus den Augen, und mich machte erneut fertig, wie falsch das hier war. Solche Sachen passierten Dorian nicht. Anderen vielleicht. Aber doch nicht ihm.
Ich legte meine Wange auf seinen Arm. »Du bist der Einzige, der gefragt hat, weißt du. Nach den Zwillingen. Und wie es ist, sie allein zu lassen. Sie fehlen mir, Dorian. Sie fehlen mir schrecklich. Die ganze Zeit, die wir diese erbärmliche Straße hinuntergezockelt sind, die wir in der Kälte gelegen haben … ich muss immerzu an sie denken. Was machen sie gerade? Geht es ihnen gut? Ich frage mich ständig, ob sie jetzt aus der Frühchenstation raus sind. Hoffentlich – und das nicht bloß, weil es bedeuten würde, dass es ihnen besser geht. Ich will nicht, dass sie mehr Zeit mit Maschinen verbringen als unbedingt nötig. Sie brauchen Menschen und Liebe. Und die Menschen, bei denen ich sie gelassen habe? Sie sind wunderbar. Sie werden gut zu Isaac und Ivy sein, aber trotzdem … wenn ich doch bloß selber bei ihnen sein könnte.«
Ich hatte den Eindruck, gerade mehr eine Therapiesitzung für mich als für ihn zu machen. Gähnend versuchte ich, wieder die Kurve zu kriegen. »Ich möchte, dass du sie mal kennenlernst. Ich weiß nicht, ob ich sie je in die Anderswelt mitbringen kann, aber vielleicht finden wir ja einen Weg, dich zu ihnen zu bringen. Wir wissen beide, dass ihr Vater nichts taugt, aber ich möchte, dass es in ihrem Leben Männer gibt, die gut sind und stark. Roland und du, ihr seid wahrscheinlich die tollsten Männer, die ich kenne, und ich möchte, dass ihr beide mit dabei seid, weil das Isaac und Ivy hilft – vor allem Isaac. Er wird gute Vorbilder brauchen.«
Ich hätte fast hinzugefügt, dass Isaac auch Anleitung brauchte, um vor der Prophezeiung verschont zu bleiben, aber dafür war Dorian die falsche Adresse. »Jedenfalls musst du zu mir zurückkehren. Es gibt zu viele Sachen, für die ich dich brauche. Zu viel, das wir noch erledigen müssen. Nicht bloß die Plage. Du hast gesagt, du möchtest das zwischen uns in Ordnung bringen und wieder Vertrauen herstellen. Ich möchte das auch – aber ohne dich kann ich das nicht.«
Im Kino wäre das der perfekte Moment für ihn gewesen, wieder ins Leben zurückzukehren à la Traumprinz. Aber denkste. Er blieb unverändert. Ich gab mich geschlagen und wischte mir die Tränen ab, diese Verräter. Die Anstrengungen des Tages forderten ihren Preis, und ich konnte keine ermunternden Worte mehr aufbringen. Aber ich wollte auch nicht von Dorians Seite weichen. Vielleicht war ich zu müde, um ihn anzuflehen, aber er sollte wissen, dass ich bei ihm war. Ich kuschelte mich enger an ihn und ließ mein Gesicht dicht an seinem Ärmel für den Fall, dass noch mehr Tränen kamen.
Trotz meiner Sorgen schlief ich ein. Der Körper lässt sich vom Verstand einfach nichts vormachen. Ich schlief tief und fest, und niemand weckte mich fürs Wacheschieben – was sie wirklich hätten tun sollen. Als mich am Morgen die ersten Sonnenstrahlen wärmten, regte ich mich.
Etwas streifte mein Gesicht, und ich öffnete die Augen, weil ich dachte, dass ein Schmetterling auf mir
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