Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
„Mamaaa?“
„Geh raus zu ihr“, zischte Lucas.
„Ich kann nicht! Ich muss mich erst frisch machen!“ Sonia zog Papiertücher aus der Metallbox unter dem Spiegel.
Vilde rief noch einmal „Hallooo?“, dann war es einen Mo ment lang still, ehe die Tür auf- und wieder zuging und sich die Schritte entfernten.
„Sie ist weg.“ Lucas atmete auf.
„Ja.“ Sonia setzte sich auf die Kloschüssel. „Gib mir bitte zwei Minuten.“
Lucas entriegelte die Tür und ging hinaus.
Er goss sich einen Kaffee ein und stellte sich ans Fenster. Er sah Vilde aus dem Eingang kommen, sie schaute zum Fenster hoch und er konnte gerade noch rechtzeitig einen Schritt nach hinten machen. Er hörte, wie Sonia die Klospülung drückte und sich die Hände wusch.
Kurz darauf kam sie ins Zimmer und strich sich nervös mit den Händen über den Rock.
„Wenn sie uns gesehen hätte! Wir hatten abgemacht, dass wir es hier nicht tun wollen! Nicht auszudenken, wenn sie uns er wischt hätte!“
„Du hattest genauso Lust wie ich“, sagte er.
„Hier arbeiten wir“, sagte sie. „Und zwar nur arbeiten! Darü ber waren wir uns doch einig.“
Er wollte gerade eine bissige Antwort geben, als sein Blick auf die Tasche mit den Tabletten fiel. Er hatte sie im Flur abgestellt, als er gekommen war.
Der Reißverschluss war offen. Nicht viel, nur fünfzehn oder zwanzig Zentimeter. Wahrscheinlich hatte er sie selbst offen ge lassen. Aber erinnern konnte er sich daran nicht … Und Vilde war hier gewesen, in diesem Zimmer, allein. Was, wenn sie hi neingeschaut hatte …?
„Entschuldige“, sagte er zu Sonia. „Tut mir leid.“
„Ja.“
„Du weißt, wie sehr ich dich liebe.“ Er hob die Tasche hoch und zog den Reißverschluss zu.
„Ich liebe dich auch“, sagte Sonia. „Aber wir müssen uns be herrschen.“
„Ja.“ Er lächelte sie an, braun gebrannt und blond und hübsch. „Du hast natürlich recht.“
Angenommen, Vilde hatte das Zeug in der Tasche gesehen – hatte sie begriffen, was das war? Konnte sie überhaupt wissen, welche Tabletten erlaubt waren und welche nicht?
Nein, sie kann nichts gemerkt haben, dachte Lucas. Selbst wenn ich die Tasche auf dem Fußboden ausgekippt und sie die Schach teln direkt vor Augen gehabt hätte, wäre ihr nichts aufgefallen. Es sei denn, sie kennt sich mit Pillen aus …
Dieser kleine Zweifel nagte in ihm. Normalerweise duldete er das nicht, sondern handelte sofort. Einen Deal, bei dem er ein ungutes Gefühl hatte, sagte er ab; einen Händler, bei dem er sich nicht ganz sicher war, strich er aus seiner Liste; Zeugen, die ihn eventuell verpfeifen konnten, brachte er zum Schweigen. Lucas war gut in solchen Dingen.
Er unterhielt sich noch ein bisschen mit Sonia und glättete die Wogen. Endlich fühlte er sich ruhiger.
Er gab ihr einen netten, harmlosen Kuss auf die Wange und flüsterte, wie wunderbar sie sei, ehe er sagte, dass er jetzt wieder wegmüsse. Sie fragte nicht, warum und wohin, vermutlich war sie froh, ihn für eine Weile los zu sein.
Er steckte den Schlüssel zu seinem Geheimlager ein, nahm den Aufzug nach unten und setzte sich ins Auto. Er brachte die Tasche an den geplanten Ort, erledigte ein paar Besorgungen und fuhr nach Hause. In den letzten Tagen war die Stimmung angespannt gewesen. Er war sich bewusst, dass er etwas tun musste, um die Sache wieder ins Lot zu bringen.
Er rief in der Pizzeria an und gab eine Bestellung auf. An schließend legte er das hübsch verpackte Geschenk auf den Couchtisch, sodass er es sehen konnte. Er fürchtete, er könnte nicht daran denken, es ihr zu geben, obwohl er solche Sachen nie vergaß – Geschenke, Geburtstage, Feste. Der Alltag war das Problem, nicht die besonderen Anlässe.
Sie kam zur gewohnten Zeit.
Er nahm das Geschenk, ging in den Flur und überreichte es ihr.
Sie stellte den Rucksack ab. „Was ist das?“, fragte sie.
„Hier“, sagte er.
„Für mich?“
„Ja.“
„Oh.“ Sie streckte die Hand aus. „Danke.“
Sie machte es auf. Es war das allerneueste Spielzeug von Apple. Sie hielt es in der Hand, betrachtete den Bildschirm, strich mit den Fingern über die glatte Fläche.
„Danke“, wiederholte sie.
„Gefällt er dir?“
„Ja. Der ist super.“
„Kannst du mir verzeihen?“, fragte er. „Es tut mir so leid, Lie bes. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Das wird nie, nie wieder passieren.“
Sie sah ihn an. Zuerst fand er ihre Augen hart, beinahe miss trauisch, dann wurden sie weicher, und sie
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