Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
einem Mal bekam er eine Heidenangst. Sie fegte durch seinen Körper wie eine Sturmbö. Von null auf hundert in Schallgeschwindigkeit. Er rannte zu ihr und kniete sich neben sie.
„Eline!“
Sie lag ganz still da. Furchtbar still. Ihre Augen waren ge schlossen. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. Er hatte solche Angst. Großer Gott! – was für eine Angst er hatte!
„ELINE!“
Seine Hände zitterten und ihr Gesicht dazwischen bebte. Er versuchte sich zu erinnern, was er bei einer Mund-zu-Mund-Beatmung tun musste. Oder brauchte sie eher eine Herzmas sage?
Und er hörte das Radio in der Küche, Lichtjahre entfernt. Es spielte ein sanftes, melancholisches und wunderschönes Lied:
Goodbye Papa, it’s hard to di e
When all the birds are singing in the sky .
5
Sie lässt ihren Blick am Seeufer entlangschweifen. Zwischen den Bäumen liegen tiefe Schatten. An manchen Stellen hängen die Äste bis ins Wasser. Kleine Fliegen und Mücken schwirren umher. Sie bekommt eine Gänsehaut.
„Es sieht schrecklich kalt aus“, sagt sie.
„Ach, Unsinn.“
„Ich habe kein Badezeug dabei.“
„Wir gehen einfach nackt.“
„Red keinen Quatsch.“
„Außer uns ist hier doch niemand“, lacht er.
Ja, genau. Nur wir beide. Soll ich mich vor dir ausziehen? Und was bedeutet das dann? Dass wir danach miteinander schlafen? Oder später, bei dir oder bei mir zu Hause? Oder das nächste Mal am See? Und wenn ich jetzt Nein sage? Gibt es dann über haupt ein nächstes Mal?
„Ich weiß nicht“, flüstert sie.
„Du.“ Er beugt sich über sie. Sie liegt flach auf dem Rücken. Vorsichtig küsst er ihre Lippen und streichelt mit einer Hand über ihre Hüfte, genau in der Lücke zwischen Minirock und Top. Seine Finger berühren ihre nackte Haut, die beinahe auf seufzt und sich ihm entgegenstreckt.
Als würde er ihre Unterlippe kosten wollen, weich und lang sam, beendet er den Kuss.
Dann reibt er vorsichtig seine Wange an ihrer.
Sie räuspert sich nervös.
„Hast du keine Lust?“, will er wissen.
Sie kann jetzt nichts sagen. Sie weiß genau, dass ihre Stimme heiser und zittrig ist. Darum schließt sie nur die Augen, riecht sein Haar, angenehm und frisch. Und er ist warm, unglaublich warm. Wieder und wieder streichelt er an ihrer Hüfte entlang.
Lust?, denkt sie. Mann, ich habe seit ewigen Zeiten Lust. Aber sie schweigt.
„Oder im Slip?“, fragt er. „Wir brauchen ja nicht nackt zu sein. Wir gehen in Unterwäsche ins Wasser.“
Er stützt sich auf den Unterarm, schaut sie an und lächelt.
Er sieht schrecklich gut aus. Aber sie hat keinen BH an.
„He.“ Er lässt den Finger federleicht über ihren Bauch gleiten. „Komm doch mit. Wir sind ganz allein.“
Sie nickt. Nicht, weil sie sich entschieden hat – das hat sie nämlich nicht –, sondern weil es sich anfühlt wie die einzige Möglichkeit. Weil er sie so anguckt und weil es mit ihm zusam men schön ist. Er ist der Beste, den sie je kennengelernt hat, und jedes Mal küsst er sie, als ob er sie liebt.
Plötzlich willigt sie ein. Sie will eigentlich gar nicht, es rutscht ihr einfach so raus.
6
Eline schlug die Augen auf. Ihr zarter Körper bebte.
„Nick“, flüsterte sie.
„Schhh.“ Werner atmete auf, ihm war schwindlig vor Erleich terung. „Ganz ruhig.“
„Nick!“
„Nick ist nicht da. Ich bin es, Werner. Ich bin hier.“
Er legte ihren Kopf sanft auf dem Sofakissen ab und fühlte ihr die Stirn. Sie war nach wir vor nicht besonders heiß, jedenfalls nicht so glühend heiß, wie es bei fiebernden Kindern oft der Fall war.
„Schhh, schhh“, machte er.
Aber sie beachtete ihn nicht. Sie starrte an ihm vorbei ins Leere, als sei dort etwas, das nur sie sehen konnte.
„Nein, nein“, flüsterte sie. „Nicht ins Wasser gehen, nicht ins Wasser!“
Goodbye my friend, it‘s hard to di e
When all the birds are singing in the sk y
7
Langsam watete sie ins Wasser. Die Handfläche bedeckte die eine, der Unterarm die andere Brust. Unsicher stakste sie weiter, bis ihr das Wasser an die Oberschenkel reichte. Dann tauchte sie unter.
Sie kniff die Augen zusammen. Sie spürte die Tropfen im Ge sicht und wie sich das Wasser um ihren Hals schloss. Ein paar Sekunden bekam sie keine Luft, fast so, als hielte sie jemand im Würgegriff und würde das Leben aus ihr herausquetschen.
Nick sah sie an. Er dachte an den Revolver, den er vor ein paar Tagen in den See geworfen hatte. Irgendwie passte es gut, jetzt hierher zurückzukommen, zusammen mit ihr,
Weitere Kostenlose Bücher