Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
ließ es zu, dass er sie umarmte.
„Ich verspreche es“, sagte Lucas. „Niemals wieder.“
Benedicte legte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen.
„Ich weiß, Papa. Ich weiß.“
Der Todestag
Goodbye to you my trusted friend
We’ve known each other since we were nine or ten
Together we’ve climbed hills and trees
Learned of love and ABC’s
Skinned our hearts and skinned our knees.
Seasons In The Sun, Terry Jacks
1
Plötzlich, mitten im September: ein heißer Tag.
Der Tag vor Synnøve Viksveens Beerdigung.
Nach der dritten Stunde war für alle Klassen unterrichtsfrei. Die Schüler wurden aufgefordert, zur Beerdigung zu kommen, aber die Lehrer wiesen extra darauf hin, dass die Teilnahme freiwillig war.
Den meisten fiel die Entscheidung leicht. Eine kalte, dunkle Kirche? Psalmen und Kränze, Sarg und Erde? Oder Sonne und Wärme, mit Freunden, vielleicht mit dem oder der Liebsten, im Gras unten an der Mühle sitzen, in einem Café im Zentrum oder zu Hause im Garten, während die Eltern arbeiten waren?
Selbst für eine beliebte Lehrerin wäre die Kirche an einem solchen Tag nicht voll geworden. Synnøve Viksveen hatte keine Chance.
Die vier Freundinnen dachten keine Sekunde daran, an der Beerdigung teilzunehmen. Sie kannten auch niemanden, der hingehen wollte.
Sie standen eine Weile draußen vor der Schule. Vilde, Nora, Trine und Benedicte. Wieder vereint. Und alles war beinahe wieder gut. Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte es sich gut an. Nicht, dass die Geheimnisse aus der Welt geschafft worden wären, das waren sie nicht, jedenfalls nicht alle. Aber die verbliebenen Geheimnisse saßen so tief, dass sie keine Aufmerksamkeit erregten.
Jeder machte einfach sein Ding. Jeder hatte was zu erledigen und wollte die anderen nicht dabeihaben.
Sie lachten und winkten sich auf dem Schulhof zu.
Bis später! Vilde zwinkerte Trine zu, die glücklich errötete. Benedicte schob ihre Sonnenbrille auf der Nase zurecht und warf die blonden Haare zurück.
Nora dachte: Komisch, alles ist wie immer und doch so anders.
Das war das letzte Mal, dass sie zu viert zusammen waren.
Eine von ihnen hatte nur noch wenige Stunden zu leben.
2
Eline fühlte sich nicht gut. Ihr war heiß, die Augen brannten, sie hatte Durst und ihr war schwindelig. Sie sagte der Lehrerin Bescheid. Die brachte sie ins Lehrerzimmer und rief Werner an, während Eline sich auf dem Sofa ausruhen durfte.
Eine halbe Stunde später war Werner da, um sie abzuholen. Er trug sie zum Auto, half ihr auf den Beifahrersitz und fuhr sie nach Hause. Dort legte er sie aufs Sofa im Wohnzimmer und maß Fieber. Sie hatte nur erhöhte Temperatur, glatte achtund dreißig Grad. Werner stutzte. Nach ihrem Zustand zu urteilen, hatte er erwartet, dass sie Fieber hatte. Er maß noch mal, mit demselben Ergebnis.
„Hast du Appetit auf irgendwas?“, fragte er.
„Ich hab Durst“, flüsterte Eline. Sie war dünn und blass, fast durchscheinend, mit diesen Augen, die in einen hineinzubli cken schienen, ohne dass man in sie hineinsehen konnte.
So war es jetzt auch. Besonders jetzt. Ihre Augen leuchteten, sie suchten.
Werner drehte sich rasch um, ging in die Küche und goss ein Glas Cola ein. Sein Herz klopfte ungewöhnlich stark.
Da ist etwas , dachte er. Irgendwas passiert, jetzt. Er wünschte sich zutiefst, dass seine Frau Sigrid da gewesen wäre.
3
„Sollen wir baden?“, fragt er.
Rund um den See stehen große, dichte, grüne Bäume.
Sie legen sich auf den kleinen Grasstrand.
Tief aus dem Wald dringt ein Geräusch, eine Art Summen.
Seltsam, findet sie.
Ein Vogelschwarm fliegt auf, aber nicht da, wo sie sind. Sie haben ihn nicht aufgeschreckt.
Er bemerkt es nicht, jedenfalls macht es nicht den Eindruck.
Sie schiebt den Gedanken zur Seite. Jetzt nur nichts kaputt machen, wo es doch gerade so schön ist.
„Sollen wir baden?“, fragt er wieder.
4
Eline lag auf dem Sofa und schaute Disney Channel, während Werner in der Küche saß und Kaffee trank. Die Tür zum Wohn zimmer stand weit offen, damit er sie im Auge behalten konnte. Das Radio lief.
Eline bewegte die Zehen unter der Decke, die er über sie ge breitet hatte. Er sah, wie die Decke sich am Fußende hob und senkte. Das mit den Zehen war eine Angewohnheit von ihr.
Aber plötzlich erstarrte sie. Er warf ihr über seine Kaffeetasse hinweg einen Blick zu. Er runzelte die Augenbrauen, irgendwas stimmte nicht. Zögernd stand er auf.
„Eline?“
Sie antwortete nicht.
Mit
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