DARKNET
geisterhaft glimmenden Linien ragte es über fünfhundert Meter in den Himmel.
Sebeck musste unwillkürlich lächeln. «Das ist ja unglaublich», sagte er, während er den Blick über das Gebäude wandern ließ. Teile der Graphik wurden durch Animationen ergänzt: Rote Pfeile symbolisierten Luftströme, die vom Fuß des Turms durch den Schaft zum oberen Ende und dort wieder hinausflossen.
Riley zeigte mit dem Finger, und ein leuchtender Zeigepfeil, der wohl zehn Meter lang sein musste, erschien in der Ferne des D-Raums. Sie führte ihn zu dem nähergelegenen Heliostaten-Array. «Das Problem an Parabolspiegel-Kraftwerken ist, dass sie an bewölkten Tagen nicht viel Energie liefern und nachts gar keine.»
Ihr mächtiger Zeigepfeil wanderte zum Fuß des 3D-Turmmodells, von dem in der Realität erst ein Fünftel stand. Den Fuß umgab ein zeltartiges Rund, sodass das Ganze aussah wie eine auf dem Trichter stehende Trompete. «Diese Anlage benutzt ein transparentes Glasdach, um Luft durch Sonnenstrahlung stark aufzuheizen – mit Energie, die selbst durch eine Wolkendecke dringt. Das Glasdach endet außen knapp drei Meter über dem Boden und steigt zum Turm hin auf zwanzig Meter an. Wenn sich die Luft erhitzt, steigt sie auf. Der so entstehende Aufwind strömt den Turm hinauf – der mit Windturbinen bestückt ist.»
«Er erzeugt also seinen eigenen Wind.»
Sie nickte. «Sogar nachts.» Sie zeigte auf etwas, das aussah wie eine Anordnung von rechteckigen Zisternen rund um das gläserne Zelt. «Abgedeckte Salzwasserbecken speichern am Tag Wärmeenergie und geben sie nachts wieder ab – was die Windzirkulation aufrechterhält.»
Sebeck wusste nicht, was er davon halten sollte. Es war offensichtlich ein großangelegtes, ehrgeiziges Projekt – aber wofür? «Wozu brauchen Sie so viel Strom?»
«Um unsere Umwelt zu transformieren. Um Maschinen zu betreiben, Mikrofabriken, um chemische Reaktionen und physikalische Vorgänge zu erzeugen. Dieser Turm hier – und andere solartechnische Einrichtungen – werden der sauberen und nachhaltigen Gewinnung von Energie und Trinkwasser aus den elementaren Bausteinen der Materie selbst dienen.»
Sebeck sah sie skeptisch an.
Sie lachte. «Es ist nicht meine Erfindung, Sergeant. Ich bin keine Ingenieurin. Was ich hier tue, ist, mit den Menschen zu arbeiten – ihnen zu helfen, die Ziele und Bedürfnisse der Gemeinschaft zu definieren.»
«Im Ernst? Woher wissen Sie, dass das da nicht kompletter Blödsinn ist?»
«Das Konzept gibt es schon seit Jahrzehnten. Dass die Technik funktioniert, ist erwiesen. Mein Wissen darüber verdanke ich dem Umgang mit den Darknet-Ingenieuren und -Architekten, die den Bau betreuen. Ich gebe mir Mühe, die technische Seite zu verstehen, damit ich das alles unserem Volk vermitteln kann. Für uns ist das eine große Sache.»
«Zweifellos. Aber, Riley, wenn das ökonomisch machbar wäre, meinen Sie nicht, dass es dann längst irgendwo in Betrieb wäre? Außerdem dachte ich, die Laguna hätten Wasser.»
«Im Moment ja, aber Darknet-Communities gründen sich auf langfristiges Denken. In den kommenden Jahrzehnten rechnen wir mit Wasserknappheit aufgrund von Klimawandel und erschöpften Grundwasserleitern. Nachhaltige, unabhängige Wasserversorgung erhöht unsere Darknet-Resilienzwerte.»
Er blickte wieder über die ganze riesige Baustelle. «Aber das alles hier auf die Beine zu stellen, nur um Felder zu bewässern, kann doch unmöglich kosteneffizient sein.»
«Wasser ist nicht das
Produkt
, Sergeant. Wasser ist das
Abfall
produkt.» Im D-Raum zeigte sie jetzt auf eine Reihe kleiner Gebäude, die an einer nach rechts abgehenden Straße errichtet wurden. «Das werden Brennstoffzellenkraftwerke, die mit der Umkehrung der Elektrolyse von Wasser arbeiten. Sie verbrauchen Wasserstoff, um Wärme und Elektrizität zu erzeugen – und hinterlassen als einzigen Abfall Wasser. Wir können auf jede Kilowattstunde aus Wasserstoff gewonnener Elektrizität einen Drittelliter Wasser erzeugen.»
«Aber wo zum Teufel kriegen Sie den
Wasserstoff
her?»
Sie richtete den Zeiger auf die umliegenden Talwände. «Aus der kristallinen Struktur von magmatischem Gestein. In dieser Gegend gibt es das in riesigen Mengen. Vor Jahrmillionen hat dieses vulkanische Gestein, als es aus Magma kristallisierte, Wasserdampf aufgenommen. Das bedeutet, es enthält molekularen Wasserstoff. Wenn man es pulverisiert, gibt es bei Raumtemperatur durch die Bruchflächen Wasserstoff ab,
Weitere Kostenlose Bücher