DARKNET
hatten, war eine gescriptete Entität, die auf reale Ereignisse reagiert. Sie kann nicht fühlen. Kann nicht denken. Sobol ist nicht mehr.»
Sebeck wandte sich zur Seitenscheibe, hing ein paar Minuten nur stumm seinen Gedanken nach. Dachte an das mörderische Wüten des Daemon und daran, was er mit ihm und seinem Leben gemacht hatte.
Bald darauf näherten sie sich einer Abzweigung. Riley bremste und bog auf eine unbefestigte Straße ab, die als INDIAN SERVICE ROUTE 49 gekennzeichnet und von Schildern mit der Aufschrift UNBEFUGTES BETRETEN VERBOTEN flankiert war. Sie preschten die Straße entlang, eine Staubfahne hinter sich herziehend.
Minutenlang sagten sie beide nichts. Rechts und links ragten in einiger Entfernung senkrechte Felskliffs aus Geröllhängen empor. Das Grasland, das hier und da von einem Teich oder Bach unterbrochen wurde, hatte etwas Liebliches.
Nach etwa einer Viertelstunde schlängelte sich der Weg um eine hohe Felsnase – eine halbinselartig vorspringende Mesa. Als sie sie umfahren hatten, sah Sebeck die Straße meilenweit schnurgeradeaus weiterführen, auf einen gigantischen Monolithen zu – einen Felsenberg, der gut und gern dreihundert Meter hoch sein musste. Im davorliegenden Tiefland gleißten überall Lichtreflexionen. Sebeck sah auch Anzeichen menschlicher Zivilisation – kleinere Gebäude und weiter weg etwas, das wie ein im Bau befindlicher hoher Wasserturm aussah. Dutzende winziger D-Raum-Callouts schwebten über der Landschaft – die dazugehörigen Personen waren auf diese Entfernung noch nicht erkennbar. Der Valley-Grund war ein einziges riesiges Darknet-Bauprojekt.
Riley bemerkte seinen erstaunten Gesichtsausdruck. «Die Spiegel sind Heliostaten. Parabolrinnen, die die Sonnenenergie auf einen zentralen Turm bündeln, um Hitze zu generieren – und damit Dampf, der eine Turbine antreibt und Strom erzeugt.»
«Auf dem ganzen Valley-Grund?»
«Nein, nein. Die Heliostaten sind nur ein Zwischengenerator. Sie liefern die Eigenbedarfsenergie für das
eigentliche
Projekt. Sonst würde der hohe Stromverbrauch Aufmerksamkeit erregen.»
Sie näherten sich jetzt einem Stahltor mit einem kurzen Stück Zaun auf beiden Seiten, damit man es nicht einfach umfuhr. Das Tor war geschlossen, aber Riley bremste nicht ab. Als sie noch etwa dreißig Meter vom Tor entfernt waren, öffnete es sich automatisch. Dahinter lag eine asphaltierte Fahrbahn. Am Tor stand ein weißes SUV mit der Aufschrift SECURITY . Darin saßen zwei uniformierte Indianer – beide mit Callouts über dem Kopf.
Riley winkte ihnen zu, und mit einem kurzen Holpern passierten sie das Tor und gelangten auf den Asphalt. Jetzt glitt der Wagen plötzlich geräuschlos dahin.
«Das hat der Daemon finanziert, oder?» Sebeck wandte sich Riley zu.
«Die Ökonomie des Daemon speist sich von Darknet-Credits, Sergeant. Imaginäres Guthaben – mehr ist Geld ja nicht.»
«Aber im Kern basiert das Ganze auf Diebstahl.»
Sie dachte darüber nach und nickte dann. «Ja, der Keim der Darknet-Ökonomie war Reichtum aus der realen Welt. Reichtum zweifelhaften Ursprungs. Hier wird er in Menschen und Projekte investiert, und diese Investitionen beginnen sich jetzt auszuzahlen – nicht in Dollars, sondern in Dingen, die einen intrinsischen Wert für die Menschen haben. Energie, Information, Nahrung, Obdach.»
«Aber ursprünglich durch Diebstahl finanziert.»
«Das könnte man von vielem sagen, was heute bewundert und geschätzt wird.»
Der Van passierte in einer schnurgeraden Linie eine ganze Serie im Bau befindlicher Projekte – strenge, fensterlose Gebäude, Rohr- und Stromleitungen, die allesamt zu der Turmbaustelle führten, die immer noch etwa zwei Meilen entfernt war. Es war gigantisch. Sie begegneten Pick-ups und Minibussen mit Arbeitern – die meisten mit dem Zeichen der Two-Rivers-Fraktion in ihrem D-Raum-Callout.
«Und was ist dieses ‹eigentliche Projekt› – der Wasserturm dort?»
«Das ist kein Wasserturm. Es ist ein 50-Megawatt-Kraftwerk, das den Strombedarf von hunderttausend Haushalten decken wird. Was Sie da sehen, sind nur die ersten hundert Meter. Wenn es fertig ist, wird es über fünfhundert Meter hoch sein, mit einem Durchmesser von fast neunzig Metern.»
Sebeck pfiff durch die Zähne und spähte durch die Windschutzscheibe.
Riley gestikulierte mit einer Hand in der Luft, und plötzlich erschien zwei Meilen vor ihnen im D-Raum ein dreidimensionales Drahtgittermodell des geplanten Turms – in
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