DARKNET
bei Rauch Wände und Hindernisse vor sich wahrnehmen.
Doch das Shirt informierte Loki nicht nur über die Geometrie seiner unmittelbaren Umgebung. Mehrere Hautzonen waren für stärkere elektrische Impulse reserviert – Alarmsignale seines Razorback-Rudels, Darknet-News, Neuigkeiten über den Major oder Erwähnungen seines eigenen richtigen Namens irgendwo im Netz. Loki war aufs engste mit der Welt um ihn herum verbunden – sowohl mit der realen Welt als auch mit den unzähligen Dimensionen des D-Raums.
Er musterte die blutbespritzten Möbel und die verstreuten Körperteile toter Militärfirmenbosse. Sein Luftfiltersystem hielt den Großteil des Innereiengestanks von seiner Nase fern. Blut rann noch immer die Wände herab und tropfte von der Decke. In einer Ecke qualmte ein zertrümmerter Razorback vor sich hin, aber das Schrillen des Rauchmelders konnte Loki unter seinem isolierten Helm nicht weiter beeindrucken.
Ein Blick durch den Raum bestätigte, was er schon wusste. Der Major war nicht unter den Toten. Loki hatte den führenden Razorback ferngesteuert und die anderen geslaved. Vielleicht war ja der Frontalangriff ein Fehler gewesen. Der Major hatte schließlich jede Menge Erfahrung im operativen Einsatz.
Aber womöglich waren hier ja dennoch nützliche Erkenntnisse zu holen, schließlich hatte sich der illustre Kreis nicht einfach nur so zum Kaffeekränzchen getroffen. Da etliche Razorbacks um das Gelände patrouillierten, glaubte Loki noch einige Zeit zu haben, bis sich die örtliche Polizei über das Blutbad am Zufahrtstor hinauswagte.
Mit dem Fuß drehte er einen böse zugerichteten Leichnam um, einen kräftigen Südamerikaner in einem maßgeschneiderten Anzug. Der Mann war der Länge nach aufgeschlitzt bis auf die Wirbelsäule. Ein zweiter Schnitt klaffte von Hüfte zu Schulter. Unter ihm auf dem Boden lag eine blutgetränkte Landkarte. Loki kickte den Leichnam beiseite, trat einen Esszimmertisch um und erkannte eine topographische Karte. Jetzt bemerkte er, dass im Raum eine ganze Kollektion großformatiger Generalstabskarten des amerikanischen Mittelwestens verstreut war, alle zerrissen und blutbefleckt.
Was habt ihr vor, Major?
Loki machte mehrere Fotos mit seiner HUD -Brille. Dann hob er seine schwarzbehandschuhte Rechte, um ein D-Raum-Layer zu aktivieren – eins, das die von sämtlichen Drahtlos-Endgeräten in seiner engeren Umgebung ausgesandten Daten anzeigte. Sofort sah er im D-Raum mehrere Handyidentifikationsnummern (MEIDs) über den Toten schweben. Außerdem hingen da die Bluetooth-IDs diverser Headsets und Wireless-Geräte im Bungalow sowie SSIDs in der Nähe befindlicher WiFi-Zugangspunkte als Callouts im dreidimensionalen Raum.
Loki aktivierte ein Darknet-Telekommunikationssuchportal, das als orangefarbener Lichtring etwa einen halben Meter vor ihm im Raum erschien. Es war ein digitales Gefäß, in das er die Handy-MEIDs der Toten mit der behandschuhten Hand hineinwischte. Der orangerote Ring blinkte auf, schrumpfte augenblicklich zusammen und verwandelte sich in eine Kolonne von sechs Namen, die zu diesen Handys gehörten. Aliasnamen natürlich, aber Loki ging es nicht um die Namen dieser Männer. Er wollte ihr soziales Netzwerk.
Loki betrachtete die zersplitterte Glastür, deren Vorhänge sich in einem tropischen Nachtlüftchen bewegten. Der Major war hier gewesen und konnte nicht weit gekommen sein.
Loki schob seine D-Raum-Portal-App beiseite und aktivierte ein Satellitenfoto seiner momentanen GPS -Position. Das Bild des Bungalowdachs schwebte als D-Raum-Objekt einen halben Meter vor ihm in einer privaten, durchscheinenden Dimension, wo er damit arbeiten konnte. Er betätigte einen Schieberegler, um in der Zeit rückwärtszugehen, und mehrere Punkte – die jeweils ein Handy repräsentierten – bewegten sich im Bungalow umher. Es waren sechs Personen. Dann sah er ein siebtes Handy zur Terrassentür hereinkommen, etwa zu dem Zeitpunkt, da sein Razorback die Tür eingerammt hatte.
Loki zoomte aus und ließ die Zeit wieder vorwärtslaufen. Der Punkt, der für das siebte Handy stand, bewegte sich zur Terrassentür hinaus, dann über das Gelände in Richtung Parkplatz. Plötzlich verschwand das Handy vom Satellitenbild.
Loki spulte in der Zeit zurück, klickte auf den Punkt – und erhielt so die zugehörige MEID , die er dann in seine Suchportal-Ergebnisliste zog.
Jetzt hatte er sieben Identitäten. Er studierte den siebten Namen – den jüngsten Aliasnamen des
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