DARKNET
schwamm der Major auf das gegenüberliegende Ufer zu. Etwa auf halber Strecke versenkte er die beiden Pistolen. Wenige Minuten später kletterte er auf eine niedrige Felsmole. Er blieb erst mal auf den Felsen liegen, um sich auszuruhen, und lauschte den schwappenden Wellen.
Von seinem Plätzchen im Schattendunkel aus blickte er in den Sternenhimmel und versuchte Bilanz zu ziehen. Einige seiner Subunternehmer waren tot. Sie mussten ersetzt werden. Ein paar unspezifische Pläne waren dem Feind in die Hände gefallen, aber es hätte schlimmer kommen können. Ja, der Feind würde jetzt wissen, dass sie im Mittleren Westen irgendetwas vorhatten, doch das allein war noch keine empfindliche Information.
Aber er war noch am Leben. Ja, der Major hatte sich seit Jahren nicht mehr so lebendig gefühlt. Er musste an Nächte irgendwo im südamerikanischen Urwald denken. Das waren seine intensivsten Erinnerungen. So fühlte es sich an, wirklich zu leben.
Plötzlich sah er ein dunkles Flugobjekt geräuschlos über den blauschwarzen Himmel gleiten.
Sie haben Überwachungsdrohnen.
Er war sofort hellwach und schnappte sich seine Sachen. Barfuß rannte er über den Strand zu einem Holzpier, der ins Wasser hinausragte. Er rannte unter dem Pier landeinwärts. Der Abstand zwischen dem Sand unter ihm und den Holzplanken über ihm wurde immer kleiner, bis er schließlich kriechen musste. Er schaufelte mit den Händen Sand beiseite, um noch weiter zu kommen, schob sich unter die Plankenpromenade. Er roch Teer, Zigarettenkippen und Hundescheiße, grub sich aber noch weiter.
Er hörte starke Motorradmotoren und Pick-up-Dieselmotoren näher kommen. Er schob mit den Füßen Sand hinter sich, um sich zu verstecken. Er war schweißgebadet von der Anstrengung. Dann hörte er stahlbeschlagene Stiefel auf der Plankenpromenade. Dutzende weiterer Stiefelpaare trampelten zu beiden Seiten über den Asphalt der Uferstraße. Motorradmotoren blubberten im Hintergrund.
Die Schritte verstummten ganz in der Nähe seines Verstecks. Er sah Schatten zwischen den Planken und hörte Männerstimmen.
«Der Wagen liegt drüben im Wasser. Er ist hier rübergekommen.»
«Ist nicht weit zu schwimmen.»
«Wie haben Sie ihn gefunden?»
«Fingerabdruckscanner auf den Türschlössern der Zimmer. Loki hat die biometrische Datenbank von Gebäude 29 ins Darknet gestellt. Die Leute haben seit Monaten Softwarebots in alle möglichen Systeme eingeschleust.»
Amüsiertes Lachen.
«Wir kriegen ihn. Jetzt kann er sich nirgends auf der Welt mehr verstecken.»
Loki, in seiner schwarzen Motorradkombi mit Helm, trat durch die zertrümmerte Tür des Bungalows. Er machte sich keine allzu großen Sorgen um seine Sicherheit. Als Level-56-Darknet-Hexenmeister hatte er die beste Ausrüstung, die für Credits zu haben war. Sein schwarzer Motorradanzug sah aus wie Leder mit Titandrahtverstärkung, bestand aber in Wirklichkeit aus flexiblen Polymerfasern, gepolstert mit einer dilatanten Flüssigkeit – einer Mischung aus Polyethylenglykol und Silika-Partikeln, die sich unter schneller Kompression sofort verfestigte. Wissenschaftlich ausgedrückt, zeigte das Gel bei wachsenden Scherkräften eine hochgradig nichtlinear zunehmende Viskosität – was in Laiensprache bedeutete, dass es eine Kugel oder ein Messer aufhalten konnte und trotzdem bequem zu tragen war. Aber Loki hatte außerdem noch Keramik-Traumaplatten an kritischen Stellen und auf den Handschuhrücken, ebenso der optischen Wirkung wegen wie zum Schutz. Ohne seine Kampfrüstung ging er kaum noch vor die Tür. Schon gar nicht in diesen unruhigen Zeiten.
Seine Schutzhandschuhe waren ebenfalls gelgepolstert, und Faseroptiklinien zogen sich wie Adern über die Handrücken wie auch über seinen gesamten Körper. Sie führten zu einem Wearable Computer hinten an seinem Gürtel. Zwei Faseroptiklinien verliefen zu Linsen, die in gravurverzierten Titanfassungen auf seinen Zeigefingerkuppen saßen und seine Plasmastrahlwaffen enthielten. Seine Gürtelschließe trug das Symbol der Stormbringer-Fraktion – zwei sich kreuzende Blitze mit einem Totenschädel in jedem Quadranten. Das war die Kultur des Darknet – Manga, zum Leben erwacht.
Über die Sensoren in seinem Outfit konnte Loki seine unmittelbare Umgebung «fühlen», und zwar in alle Richtungen. Auf der Haut trug er ein Haptik-Shirt, ein haptisches Display, das elektrische Impulse abgab, ähnlich den Pixeln auf einem Bildschirm. Damit konnte er selbst im Dunkeln oder
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