Darkover 02 - Herrin der Stuerme
die er für seinen Vater empfand. Er erinnerte sich an jene Tage, bevor ihn das Laran und sein Cristofero-Glaube von ihm getrennt hatten, und erneut fühlte er Schmerzen der Trauer, wenn er das verfluchte Zimmer mit den grün-goldenen Vorhängen sah, den großen geschnitzten Sessel, und das Gesicht seines Vaters, weiß und starr und voller Überraschung. Auf dieser Straße hatten immer wieder andere Gesichter versucht, aus der Verschwommenheit des Unbekannten in die mögliche Zukunft zu kommen. Die meisten von ihnen ignorierte Allart, wie er es im Kloster gelernt hatte, aber zwei oder drei tauchten wiederholt auf und machten ihm klar, daß es sich nicht um Gesichter von Leuten handelte, die er treffen konnte, sondern um die derjenigen, die in sein Leben treten würden. Eins, das er verschwommen erkannte, war das seines Bruders Damon-Rafael, der ihn einen Sandalenträger und Feigling genannt hatte und froh gewesen war, den Rivalen loszuwerden, damit er allein Elhalyns Erbe sein konnte.
Ich wünschte, mein Bruder und ich könnten Freunde sein und einander lieben, wie Brüder es sollten. Doch unter den möglichen Zukunftsentwicklungen sehe ich nirgendwo eine Chance …
Und da war das Gesicht einer Frau, das regelmäßig vor seinen geistigen Augen auftauchte, obwohl er sie nie zuvor gesehen hatte. Eine kleine Frau, von angenehmem Äußeren, mit von dunklen Wimpern beschatteten Augen, einem blassen Gesicht und mit Haaren, die aus gesponnenem schwarzen Glas zu sein schienen. Er sah sie in seinen Visionen – ein ernstes, bekümmertes Gesicht, dessen dunkle Augen ihm mit quälendem Flehen zugewandt waren.
Wer bist du? fragte er sich. Dunkles Mädchen meiner Visionen, warum marterst du mich auf diese Weise?
Nach den Jahren im Kloster schien es Allart seltsam, daß er anfing, auch erotische Visionen von dieser Frau zu haben; er sah sie lachen, liebevoll, ihr Gesicht im Verlangen nach Zärtlichkeit dem seinen entgegengehoben, die Augen in der Verzückung eines Kusses geschlossen. Nein! dachte er. Ganz gleich, wie sehr ihn sein Vater mit der Schönheit dieser Frau verlocken sollte, er würde an seinem Entschluß festhalten und kein Kind zeugen, das den Fluch seines Blutes zu tragen hatte! Aber die Anwesenheit des Gesichts dieser Frau blieb im Träumen und Wachen, und er wußte, daß sie eine von jenen war, die sein Vater für ihn als Braut wählen würde. Allart fragte sich, ob die Möglichkeit bestand, daß er ihrer Schönheit nicht zu widerstehen vermochte.
Ich bin schon halb verliebt in sie, dachte er, und ich kenne nicht einmal ihren Namen!
Eines abends, als sie in ein weites grünes Tal hinabritten, begann sein Vater erneut von der Zukunft zu sprechen.
»Unter uns liegt Syrtis. Die Leute von Syrtis sind seit Jahrhunderten Hastur-Vasallen gewesen; wir werden unsere Reise dort unterbrechen. Du wirst froh sein, wieder in einem Bett zu schlafen, nehme ich an.« Allart lachte. »Das ist mir egal, Vater. Während dieser Reise habe ich weicher geschlafen als jemals in Nevarsin.«
»Vielleicht hätte ich solche mönchische Zucht erfahren sollen, bevor meine alten Knochen eine solche Reise machten! Ich jedenfalls werde über eine Matratze froh sein, wenn du es schon nicht bist! Wir sind jetzt nur noch zwei Tagesritte von Zuhause entfernt und könnten an sich schon etwas für deine Heirat planen. Mit zehn Jahren wurdest du mit deiner Verwandten Cassandra Aillard verlobt, erinnerst du dich?« So sehr er es auch versuchte, Allart konnte sich nur an ein Fest erinnern, zu dem er einen neuen Anzug bekommen hatte und stundenlang herumstehen und lange Ansprachen der Erwachsenen anhören mußte. Das sagte er seinem Vater, und Dom Stephen erwiderte, erneut sehr liebenswürdig: »Das überrascht mich nicht. Vielleicht war das Mädchen nicht einmal da; ich glaube, es war damals nur drei oder vier Jahre alt. Ich bekenne auch, daß ich an dieser Verbindung meine Zweifel hatte. Die Aillards haben Chieri-Blut und die üble Angewohnheit, dann und wann Töchter zu gebären, die Emmasca sind – sie sehen wie wunderschöne Frauen aus, aber sie werden nie reif zur Vereinigung und gebären auch keine Kinder. Ihr Laran ist nichtsdestoweniger stark, deshalb habe ich die Verlobung riskiert. Und als das Mädchen zur Frau wurde, ließ ich sie in Anwesenheit ihrer Amme von unserer eigenen Leronis, die ihre Überzeugung äußerte, daß sie Kinder gebären könnte, untersuchen. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen, aber man hat mir berichtet, sie sei zu
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