Darkover 03 - Herrin der Falken
Abstieg der
anderen durch die schmale Rinne, die auf den Grund der Kluft führte, zu überwachen.
An jenem Abend schlugen sie ihr Lager im Freien auf. Nichts als eine unter einem Baum schräg aufgespannte Zeltbahn schützte sie vor der schlimmsten Nässe. Wie es sich für einen Friedensmann ziemt, hielt sich Orain in der Nähe Dom Carlos. Die Decken wurden ausgebreitet. Romilly sah nach den Vögeln und verfütterte den letzten Rest Aas an sie. Die Männer murrten und knurrten über den Gestank, doch keiner wollte sich gegen Dom Carlo auflehnen. Plötzlich sagte Orain kurz: »Ru-mal, leg dich zu uns. Du bist mit Decken nicht besonders gut ausgestattet, und auch mit deinem Mantel wirst du erfrieren, Junge.«
Romilly bedankte sich schüchtern und kroch zwischen die beiden Männer. Sie hatte nur die Stiefel ausgezogen; weniger bekleidet wollte sie sich nicht sehen lassen. Noch mit Mantel und Decke fühlte sie sich durchgefroren, und von der Erlaubnis, Decken und Wärme zu teilen, machte sie gern Gebrauch. Halb im Schlaf nahm sie undeutlich wahr, daß Preciosa herniederschoß und innerhalb des Kreises aus Feuern aufblockte. Noch etwas anderes berührte ihren Geist, ein schwacher Hauch von Laran – Dom Carlos Gedanken. Sie umkreisten das Lager und vergewisserten sich, daß alles gut stand mit Männern, Reittieren und Vögeln.
Dann schlief sie ein.
3.
Am frühen Morgen ging Romilly über die Lichtung, um Wasser für die Vögel zu holen. Einer der Männer mußte heute auf die Jagd gehen und ein Wild für die Kundschaftervögel zu fangen, denn es war kein Fleisch mehr da. Aber die Vögel sahen bereits besser aus, putzten ihr Gefieder und säuberten ihre Füße. Von hier aus konnte Romilly die Häuser von Nevarsin erkennen, weiß unter der Morgensonne, als seien sie aus Schnee oder Salz. Es war eine alte Stadt, an der Flanke des Berges erbaut, gleich an der Grenze des ewigen Eises. Darüber erhoben sich die aus dem Felsgestein gehauenen Mauern des Klosters, als stächen die Knochen des Bergs durch den Schnee. Einer der Männer – sie wußte seinen Namen nicht – holte Wasser für den Brei. Ein anderer teilte Korn für die Pferde und Chervines aus. Den Mann namens Alaric, einen schweren, finsteren Kerl in derber Kleidung, fürchtete Romilly am meisten. Doch sie konnte ihm nicht ständig aus dem Weg gehen,
und auf jeden Fall mußte er ein bißchen Sympathie für die Kundschaftervögel haben, denn er hatte einen von ihnen auf seinem primitiven Sattelblock gehabt.
»Entschuldigt«, sagte Romilly höflich, »aber Ihr müßt gehen und ein Wild für die Kundschaftervögel fangen. Wenn es heute morgen getötet wird, beginnt es am Abend zu verwesen und ist dann gerade richtig für sie.«
»Oho!« legte der Mann los. »Also nach einer einzigen Nacht mit unserm guten Anführer hältst du dich für berechtigt, Männern Befehle zu erteilen, die dieses ganze hungrige Jahr lang mit ihm geritten sind? Wer von den beiden hat dich gehabt, oder haben sie sich bei dir abgewechselt, kleiner Lustknabe?«
Schockiert über diese rohe Beleidigung wich Romilly mit flammendem Gesicht zurück. »Ihr habt kein Recht, so etwas zu mir zu sagen! Dom Carlo hat mir die Vögel anvertraut und mich beauftragt, für ihre richtige Ernährung zu sorgen, und ich gehorche dem vai dom, wie Ihr selbst es auch tut!«
»Aye, das kann man wohl sagen!« höhnte der Mann. »Vielleicht möchtest du mit diesem hübschen Mädchengesicht und diesen damenhaften Händchen –« Der Rest war so unanständig, daß Romilly nicht verstand, was er meinte, und sie wollte es auch gar nicht verstehen. Wie hätte einer ihrer Brüder auf eine solche Gemeinheit reagiert? Das Messer konnte sie nicht ziehen, denn sie war nicht groß genug, es mit dem hünenhaften Alaric aufzunehmen. So würdevoll, wie sie es fertigbrachte, sagte sie: »Vielleicht werdet Ihr die Befehle ausführen, die der vai dom Euch persönlich gibt.« Damit ging sie. Sie biß die Zähne zusammen und verkrampfte ihr ganzes Gesicht, damit ihr die Tränen nicht aus den Augen liefen. Verdammt, verdammt soll er sein! Ich darf nicht weinen, ich darf nicht…
»Warum machst du denn ein Gesicht wie eine Gewitterwolke, mein Junge?« fragte Orain belustigt grinsend. »Tut dir was weh?«
Romilly raffte die Reste ihrer Selbstbeherrschung zusammen und sagte das erstbeste, was ihr in den Sinn kam. »Habt Ihr einen Handschuh übrig, den ich mir ausleihen kann, Onkel?« Sie benutzte die formlose Anrede für jeden Freund
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